Bildungsgrätzl machen Schule

Die Stadt forciert die Zusammenarbeit von Schulen und Kindergärten mit Jugend- und Sozialeinrichtungen, um Wiener Kindern die besten Bildungschancen zu bieten. 

It takes a Grätzl to raise a child“ (es braucht ein Grätzl, um ein Kind aufzuziehen), lautet das Motto, wenn es um ein innovatives System geht: die Wiener Bildungsgrätzl. Die Idee dahinter ist so einfach wie effizient. Um die Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu fördern, arbeiten verschie­dene Institutionen in einem überschaubaren Gebiet eng zusammen: Schulen, Kindergärten, Vereine, Büchereien, Volkshochschulen, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sowie die Jugendarbeit. 18 solcher Bildungsgrätzl mit rund 375 beteiligten Institutionen gibt es bereits, ca. 45.000 Kinder werden erreicht. Fünf Bildungsgrätzl sollen noch im Schuljahr 2021/22 eröffnet werden und fünf weitere bereiten zurzeit ihre Gründung vor. 2025 sollen es insgesamt 40 sein.

175.000 Euro

Um die aktiven Bildungsgrätzl zu unterstützen, hat der Gemeinderat vor Kurzem 175.000 Euro Förderung für 2022 sowie jeweils 200.000 Euro für die Folgejahre beschlossen. Akkreditierte Bildungsgrätzl können ab heuer bis zu 5.000 Euro Jahresförderung für Projekte beantragen. So soll die Zusammenarbeit der lokalen Bildungspartner*innen gestärkt und es sollen mehr Angebote für die Kinder und Jugendlichen geschaffen werden. Die Kooperation verschiedenster Einrichtungen sorgt aber nicht nur für ein vielseitiges Bildungs-, sondern auch für ein umfassendes Freizeit- und Beratungsangebot im unmittelbaren Lebensraum der Kinder, Jugendlichen und Eltern. Durch die Zusammenarbeit entstehen neue Initiativen und Projekte. Mit Wissenschafter*innen wird genauso Kontakt gesucht wie mit Sportvereinen oder Theatern. So kristallisiert sich in jedem Bildungsgrätzl abhängig von den Ressourcen ein anderer Schwerpunkt heraus. „Spanisch vom Kindergarten bis zur Matura“ lautet zum Beispiel das Motto im Bildungsgrätzl Schönbrunn (siehe Videotipp), während etwa im Bildungsgrätzl Kaisermühlen Forschung und Demokratie im Fokus stehen.

Buddy-System

Das Besondere an einem Bildungsgrätzl sind die Nahtstellen und die außerschuli­schen Angebote. So wird den Kindergartenkindern schon früh die Scheu vor dem Schuleinstieg genommen, weil sie bereits in Kontakt mit der Volksschule stehen. Gemeinsam mit den Tafelklassler*innen wird gebastelt, gemalt oder gegartelt. Zudem tauschen Lehrer*innen und Kindergartenpädagog*innen Erfahrungen aus. Jedes Kind kann so nach individuellen Bedürfnissen gefördert werden. Genauso läuft der Übergang von der Volks- in die Mittelschule: Die Lehrer*innen arbeiten ebenso zusammen wie die Schüler*innen. Im sogenannten Buddy-(Kumpel-)System greifen ältere Kinder jüngeren unter die Arme. Davon profitieren beide Seiten. „Die Kompetenzen 
der Kinder werden durch das Buddy-System gefördert“, erklärt Petra Feldhofer-Mahmoudian, Volksschuldirektorin im Bildungsgrätzl Kaisermühlen. „Wenn sie Erlerntes wiedergeben, verbalisieren sie, was sie gelernt haben.“ Davon profitieren nicht zuletzt Schüler*innen mit nicht-deutscher Muttersprache.

Zusammenhalt

Die große Stärke der Bildungsgrätzl – der enge Kontakt – ist in der Pandemie freilich beeinträchtigt, Klassensperren, Quarantäne und Testordnung belasten die Schulpartner*innen. „Wegen Corona dürfen wir die Kindergruppen zurzeit nicht mischen“, sagt Feldhofer-Mahmoudian. Darum setzt man verstärkt auf Digitalisierung, um gemeinsame Erlebnisse für die Kinder zu schaffen. So wurden in Kaisermühlen zuletzt etwa Hunderte Friedenstauben für den Weihnachtsbaum in der UNO-City gebastelt. Die Institutionen bleiben natürlich trotz Corona vernetzt, betont die Direktorin. „Und der Zusammenhalt zwischen den Pädagoginnen und Pädagogen sowie den Partnerinnen und Partnern ist stärker als je zuvor.“

Wenn schulübergreifend zusammengearbeitet wird, wirkt sich das positiv auf die Beteiligung der Kinder aus

Bildungsexpertin Elke Larcher, AK Wien (Foto: AK Wien)

Es gibt verschiedenste Schwerpunkte der Bildungsgrätzl, wie profitieren Kinder davon?

Kinder profitieren von Bildungsgrätzl profitieren vielfältig. Es können Übergänge zwischen verschiedenen Bildungsstufen begleitet werden. Angebote und Räumlichkeiten, die sonst nur in einer Bildungseinrichtung zur Verfügung stehen, können von mehr Kindern genützt werden, zum Beispiel entdecken die Kindergarten-Kinder die Bücherei der Schule. Und die Bildungseinrichtungen können sich gegenseitig inspirieren und die eigenen Stärken verstärkt werden. Zum Bespiel wenn die Oberstufe ein gemeinsames Projekt mit dem Kindergarten plant.

Im Vordergrund steht die Selbstbestimmung der Kinder, inwiefern ist das entscheidend?

Die Zukunft braucht starke, kreative und selbstbewusste Erwachsene, Schulen und Bildungsgrätzl sind dafür die richtigen Orte, um das zu lernen und zu üben. Kinder können so ihre eigene Lernumgebung beeinflussen und auch ein Stück Verantwortung dafür tragen. Gerade wenn schulübergreifend zusammengearbeitet wird, wirkt sich das positiv auf die Beteiligung der Kinder aus.

Die Kinder unterstützen sich also besonders gegenseitig. Dafür gibt es auch ein „Buddy-System“. Lernen Kinder so besser?

Buddy-Systeme sind eine gute Ergänzung zur Beziehung der Kinder und jungen Erwachsenen zu ihren Pädagog*innen. Davon profitieren beide Seiten, denn etwas zu erklären, jemandem zu helfen ist eine wichtige Kompetenz. Um das Fähigkeit zu verankern, braucht es viele Wiederholungen. Insofern sind Buddy-Systeme sehr lernwirksam.

Fällt Inklusion in so einem vernetzten System leichter als etwa in einer normalen Schule? Warum?

Auf jeden Fall. Durch die Vernetzung der Institutionen werden Hürden abgebaut, die vielen Kindern und Jugendlichen oft zu hoch sind. Gerade Förder- und Unterstützungssysteme gehen mit dem Wechsel einer Schule oft verloren. Um sich einzubringen und dran zu bleiben ist Kontinuität ein wichtiger Baustein. Diese Regelmäßigkeit kann ein Bildungsgrätzl Kindern geben.

 

Die Wiener Bildungsgrätzl im Überblick (© Stadt Wien - DOWNLOAD (PNG 187.0 KB) )

Eine Grafik mit Zahlen und Fakten zu den WIener Bildungsgrätzln

Die Wiener Bildungsgrätzl in Zahlen (© Stadt Wien - DOWNLOAD  )

Das sagen Kinder und Eltern über das Bildungsgrätzl

Azra, Martin und Artur besuchen die 4. Klasse der VS Am Kaisermühlendamm. Am Bildungsgrätzl gefällt ihnen, dass sie von älteren Kindern lernen können. Stolz sind sie, wenn sie Jüngeren helfen können. Großen Spaß haben sie beim Teich-Projekt. Azra beobachtet genau, „wie die Blumen wachsen“ und findet es schön, „dass es Frösche gibt“. Martin liebt das Gärtnern: „Mich freut, dass man das Gemüse probieren kann“. Artur bringt auf den Punkt, warum das Bildungsgrätzl toll ist: „Mir taugt das. Wenn man was schon kann, dann ist es nicht so anstrengend.“

Azra, Martin und Artur gefällt, dass sie im Bildungsgrätzl von älteren Kindern lernen können. (Foto: PID/Bohmann)

„Die Vernetzung zwischen den Bildungseinrichtungen finde ich in der heutigen Zeit sehr wichtig. Genau das setzt das Bildungsgrätzl perfekt um“, betont Christian Dangl, Elternvertreter der VS Am Kaisermühlendamm. Durch den Besuch von Schulen verlieren die Kindergartenkinder die Angst vor dem Schuleinstieg. Außerdem habe er an seinen eigenen Kindern gesehen, wie sehr sie das Wiedersehen mit den ehemaligen Kindergartenpädagog*innen freut, wenn sie die Schule mit einer Gruppe besuchen. Für die Zukunft wünscht er sich ein jährliches Fest mit allen Beteiligten vom Bildungsgrätzl und den Elternvereinen.

Ein Video zum Bildungsgrätzl

"Jedem Wiener Kind die besten Bildungschancen geben"

Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr im Interview

Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr im Interview - VIDEO

Was ist die Idee des Bildungsgrätzls?

Mit den Bildungsgrätzln wollen wir niederschwellige Bildungs-, Freizeit- und Beratungsangebote für Kinder und Jugendliche schaffen. Es geht darum, die Bildung für alle jungen Menschen in Wien weiter zu verbessern. In den Bildungsgrätzln kooperieren unterschiedlichen Einrichtungen, wie Schule, Bibliotheken, außerschulische Vereine oder Kindergärten miteinander, so entstehen gute Initiativen und ein vielfältiges Angebot für Kinder. 

Aktuell wurden 175.000 Euro Förderung für heuer beschlossen und jeweils 200.000 Euro für die Folgejahre. Was passiert mit dem Geld?

Damit werden unterschiedlichste Projekte umgesetzt. Einrichtungen, die beim Bildungsgrätzl mitmachen, können nun gezielt ihre Projekte einreichen, wie Lesefeste oder ähnliches. Mit dem Geld unterstützen wir die Grätzl dabei, niederschwellige Bildungsprojekte auf die Beine zu stellen. Unser Ziel ist es, noch mehr Bildungsgrätzl zu schaffen.

Wie wird das Projekt von Bildungseinrichtungen angenommen?

Es gibt sehr viel Interesse an diesem Projekt. Wir sind laufend in Gesprächen mit unterschiedlichen Initiativen, die sich zusammenschließen möchten. Denn besonders im Bereich der Bildung ist es wichtig, dass man über den Tellerrand blickt und vernetzt denkt. Zum Beispiel ist der Übergang vom Kindergarten zur Schule sehr prägend, umso wichtiger ist es, wenn diese Einrichtungen miteinander kooperieren.

Inwiefern beeinflusst Corona die pädagogische Arbeit in den Bildungsgrätzln?

Corona ist eine massive Herausforderung für den Bildungsbereich. Ganz speziell für Kindergarten und Schule, für alle Pädagog*innen und Kinder. Vieles kann momentan nicht stattfinden und Kinder müssen auf vieles verzichten. Umso wichtiger ist daher die Förderung für die Bildungsgrätzl. Damit können wir nach Omikron noch zusätzliche Angebote schaffen. Dabei geht es nicht nur um Lernen, sondern um Freizeitgestaltung und um den Austausch. Ein Schwerpunkt wird daher im Frühjahr auf Bewegung und Sport liegen, um den Kindern wieder mehr Freiraum und Austausch zu ermöglichen.

Ist das Bildunggrätzl ein international bekanntes Modell oder ist das eine Wiener Erfindung?

Die Grätzln gibt’s nur in Wien. International gibt es ähnliche Kooperationen von Bildungseinrichtungen, zum Beispiel in London. Aber der Unterschied ist, dass wir die Grätzl von Stadtseite unterstützen und stark fördern. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kooperationen im Bildungsbereich einen großen Mehrwert bringen. Denn Bildungseinrichtungen sollen noch stärker im Interesse der Kinder arbeiten. Mit den Bildungsgrätzln schaffen wir es, jedem Wiener Kind die besten Bildungschancen zu geben.

Wie viele BG gibt es bereits und sind noch weitere geplant?

Aktuell werden in 18 Bildungsgrätzln rund 50.000 Kinder erreicht. Mit diesem Schuljahr werden fünf neue ins Leben gerufen. Es finden laufend Gespräche mit vielen weiteren interessierten Einrichtungen statt. Ich lade alle Bildungseinrichtungen dazu ein, sich zusammenzuschließen und ihre Projekte einzureichen, um bestmögliche Bildungsangebote für Kinder zu schaffen.