Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 24.04.1996:
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Ude: Die Aufgaben der Städte sind gar nicht so neu

Wien, 24.4. (RK-POLITIK) In einem vielbeachteten und mit langen Applaus bedachten Referat formulierte der Münchner Oberbürgermeister Christian UDE die Aufgaben der europäischen Städte an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend. Im Gegensatz zur weitverbreiten Meinung, daß die Städte zur Bewältigung der neuen Aufgaben ...

Wien, 24.4. (RK-POLITIK) In einem vielbeachteten und mit langen Applaus bedachten Referat formulierte der Münchner Oberbürgermeister Christian UDE die Aufgaben der europäischen Städte an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend.

Im Gegensatz zur weitverbreiten Meinung, daß die Städte zur Bewältigung der neuen Aufgaben völlig neue Visionen entwickeln müßten und viele alte Instrumentarien über Bord werfen müßten, wies Ude nach, daß die europäischen Städte immer schon einen wirtschaftlichen Wettbewerb unterlagen und Orte des kulturellen Austausches und der Integration von Zuwanderern waren.

Wirtschaftlich gab es immer schon Standortkonkurrenz zwischen Städten, sagte Ude. Neu seien lediglich die Entfernungen von Städten, die im Wettbewerb miteinander liegen. Neu sei lediglich das starke Kosten- und Lohngefälle zu Osteuropa. Am besten haben sich durch Jahrhunderte hindurch aber jene Städte im wirtschaftlichen Wettbewerb bewährt, die sich nicht dem aktuellen ökonomischen Diktat unterworfen haben und kurzfristige Vorteile etwa in der Ansiedlung einzelner Betriebe gesucht haben, sondern die in einer langfristigen Sicht der Dinge Stück für Stück ihre Standortvorteile verbessert haben. Ökologische oder kulturelle Maßnahmen beispielsweise erweisen sich langfristig als bessere Standortfaktoren einer Stadt als etwa der Bau neuer Bürozentren (etwa in London oder Brüssel), durch die mehr Probleme geschaffen als gelöst wurden.

Die europäischen Städte seien weiters seit gut 150 Jahren Orte des kulturellen Austausches und der Integration. Wer heute unter Überfremdungsängsten leidet, übersieht, daß in europäischen Städten immer schon Zuwanderung herrschte. Gegenüber früher hat sich lediglich die Entfernung der Herkunft jener Menschen geändert, die in den Städten ökonomische Sicherheit und Wohlstand suchen. Auch die anfängliche Ablehnung der Zuwanderer und die nachfolgende Integration waren immer schon die Folgen dieses Prozesses. Daher sind die Städte in Europa schon lange europäische Städte, weil ihre ganze Kultur eine europäische Kultur ist, die aus verschiedensten Einflüssen entstand. Und das ist genau jene Urbanität, die Städte vom "Provinzmief" unterscheidet. Sarajevo sei der Ausdruck der Wahnidee, man könne ethnische Vermischungen rückgängig machen.

Je weniger europäische Städte in der weltweiten Konkurrenz wirtschaftlich anzubieten haben, umso mehr müßten sie etwa im innovativen Bereich anbieten. Ude meinte damit, daß beispielsweise Kunst und Kultur kein Zierrat sein dürften, sondern ein gesellschaftliches Lebensmittel. Architektur beispielsweise sei das dauerhafte Gedächtnis der Gesellschaft und daher tragen die Städte auch heute, trotz Finanznot hohe Verantwortung für einen qualitativen Städtebau. Stadtpolitik müsse gesellschaftlichen Wandel mitvollziehen, weil sie sonst an den Bedürfnissen der Bürger vorbeigehe. Neben neuen Kommunikations- und Beteiligungstechnologien, wie sie gerade in Städten entwickelt werden, müßten aber auch Kommunikationsformen angeboten und gefördert werden, um der Vereinsamungsgefahr von Menschen entgegenzuwirken.

UNO und Weltbank prognostizieren den 33 größten Städten der Welt in den nächsten zwei Jahrzehnten eine Einwohnerzahl von mindestens acht Millionen Menschen, eine flächenmäßige Verdoppelung und eine Explosion der Armut und der Umweltprobleme. Die Gegensätze zwischen Arm und Reich werden aber auch in europäischen Städten größer und sichtbarer. Arbeiter, kleine Rentner, kinderreiche Familien und Alleinerzieher sind besonders davon betroffen. Aber statt Desintegration - Slums auf der einen Seite und eingezäunte Ghettos für die Reichen auf der anderen Seite - könne nicht die Lösung sein, weil das das Ende einer offenen Stadt, des öffentlichen Raums und überhaupt der Urbanität wäre, die dann nicht einmal mehr Reiche genießen können.

Zwischen den Stadtentwicklungsplänen von München und Wien stellte Ude erstaunliche Übereinstimmungen fest, was als Bestätigung der Wiener Konzepte gesehen werden könne. Dies seien ein qualitätsvolles Wachstum, eine behutsame Stadterweiterung durch Umnutzung, Verdichtung und Recycling von Flächen, das Durchziehen neuer Stadtteile mit ökologisch hochwertigen Flächen, die Forcierung des öffentlichen Personenverkehrs und die Verbindung von Wohnen, Arbeit und Freizeit.

Zum aktuellsten Problem der deutschen Städte, der akuten Finanznot und der daraus resultierenden explodierenden Sozialkosten, sagte Ude, daß eine Lösung vor allem darin zu suchen sein, die Verantwortung für Finanzen nach unten zu verlagern, also eine Budgetierung einzelner Dienststellen voranzutreiben, um damit verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern zu erreichen. Er könne allerdings aus Erfahrung nur warnen, vor eine Kaputtsparen der Städte, weil etwa durch die ersatzlose Schließung von kulturellen und sozialen Einrichtungen in vielen deutschen Städten urbane Lebensqualität unwiderbringlich verlorgengegangen ist. Auch die Privatisierungsergebnisse in deutschen Städte seien traurig, weil stets nur kommunale Betriebe mit Gewinn Käufer gefunden hätten. Und diese Gewinne fehlten dann im nächsten Budgetjahr. Und schließlich sollten die Städte nicht durch Personalabbau die Massenarbeitslosigkeit verstärken. Ude bemerkte positiv, daß die österreichischen Städte im Gegensatz zu den deutschen an den Finanzverhandlung zwischen Bund und Ländern beteiligt werden und nicht über ihren Kopf hinweg entschieden wird.

Bürgermeister Dr. Michael HÄUPL bekräftigte, daß diese Gedanken seines Münchner Kollegen viele Impulse für die weiteren Beratungen des Städtetages enthalten. Die Beratungen des 46. Österreichischen Städtetages werden am Donnerstag mit Diskussionen in vier Arbeitskreisen fortgesetzt. Die Rathauskorrespondenz wird darüber berichten. (Schluß) ah/bs

(RK vom 24.04.1996)