Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 27.11.1997:
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Wiener Gemeinderat (3)

Wien, (OTS) GR Dr. Hahn (ÖVP) beantragte eine Sachkrediterhöhung um knapp viereinhalb Millionen Schilling für die Wintersichermachung der Ausgrabungen auf dem Judenplatz und verschiedene weitere Aufwendungen. GR Mag. Gabriele Hecht (LIF) meinte, man hätte schon früher die Existenz der Synagoge unter dem Judenplatz ...

Wien, (OTS) GR Dr. Hahn (ÖVP) beantragte eine Sachkrediterhöhung um knapp viereinhalb Millionen Schilling für die Wintersichermachung der Ausgrabungen auf dem Judenplatz und verschiedene weitere Aufwendungen.

GR Mag. Gabriele Hecht (LIF) meinte, man hätte schon früher die Existenz der Synagoge unter dem Judenplatz in die Planungen einbeziehen müssen. Man könne auch nicht erwarten, daß durch ein Kunstwerk allein der Holocaust aufgearbeitet werden könne. Wichtig sei es, die Erinnerung an das Pogrom des 15. Jahrhunderts und die Schrecken der Naziherrschaft vor dem historischen Hintergrund aufzubereiten. Gemeinsam mit den Grünen stellte Hecht den Antrag, sofort mit dem Baubeginn des Mahnmals zu beginnen, die Ausgrabungen öffentlich zugänglich zu machen, Erinnerungsstätten für die Ereignisse im 15. und im 20. Jahrhundert zu schaffen und eine Liste der von den Nazis getöteten Juden für die Öffentlichkeit zu erstellen.

StR. Dr. Friedrun Huemer (G) führte aus, den Menschen des 20. Jahrhunderts stehe es nicht zu, den Holocaust an den Juden auf die Judenverbrennung im 15. Jahrhundert zu reduzieren. Die Preisträgerin im Wettbewerb für das Mahnmal auf dem Judenplatz habe gegenüber Medien verlauten lassen, daß sie einer Verlegung auf einen anderen Standort nicht zustimmen werde. Die politische Verantwortung liege bei der Stadt Wien. Sie sei auch Ansprechpartner für die jüdische Kultusgemeinde.

GR Dr. Salcher (ÖVP) erklärte, die Forderung nach einer sofortigen Aufstellung des Mahnmals sei sowohl sachlich als auch politisch falsch, gehe es doch um eine Gesamtlösung für den Judenplatz und das Anliegen, Kritik zu minimieren. Es sei wichtig, die Wünsche der jüdischen Kultusgemeinde in der laufenden Diskussion zu hören. Sollte der Gemeinderat zur Entscheidung kommen, das Mahnmal an anderer Stelle zu errichten, wie dies von verschiedenen Seiten gefordert wird, entstehe damit internationaler Erklärungsbedarf.

GR Mag. Heidemarie Unterreiner (FPÖ) sagte, Sinn des Mahnmals sei es, der jüdischen Opfer unter der Naziherrschaft zu gedenken. Nicht jedoch soll das Mahnmal einem "unwilligen Publikum" oktroyiert werden. Die Verantwortlichen der SPÖ hätten es seinerzeit versäumt, eine Diskussion über das Projekt zuzulassen. Sie halte, sagte Mag. Unterreiner, die Nachdenkpause für gut, und sie gab zu bedenken, daß das Siegerprojekt nicht die Akzeptanz gefunden habe, die notwendig gewesen wäre. Nach Ansicht ihrer Fraktion können die Ausgrabungen aus dem 15. Jahrhundert die Verbrechen an den Juden besser als jedes Kunstwerk vermitteln.

GR Woller (SPÖ) verwies auf völligen politischen Konsens in der Koalition, daß die Stadt zu ihrem Beschluß für das Mahnmal steht. Dazu bedürfe es keiner zusätzlichen Anträge. Die SPÖ garantiere auch die Freiheit der Kunst. Die Entscheidung über das Vorhaben werde die Stadt zu treffen haben, aber nicht über die Köpfe der jüdischen Gemeinde hinweg. Fallen werde diese Entscheidung im kommenden März. Die Entscheidungen über den Standort und das Wettbewerbsergebnis seien immer mit der Kultusgemeinde gemeinsam getroffen worden. Seine Fraktion werde dem LIF-Grünen-Antrag nicht zustimmen, weil vier Fünftel ohnedies realisiert werden, der Baubeginn sei ja realistisch erst im Frühjahr möglich.

BV Dr. Schmitz (ÖVP) betonte den völligen Konsens über den unterirdischen klimatisierten Schauraum mit den Ausgrabungen der Synagoge. Die Künstlerin beweise jedoch mangelnde Sensibilität, wenn sie sich mit der Möglichkeit eines anderen Standortes nicht auseinandersetzen wolle. Ernsthaft solle man den Vorschlag des Wiener Erzbischofs für eine Verlegung des Aufstellungsortes prüfen.

StR. Marboe (SPÖ) machte deutlich, es gehe nicht um das Mahnmal an sich, sondern ob es Argumente gibt, die stark genug sind, bereits gefaßte Beschlüsse rückgängig zu machen. Wichtig sei, daß das Mahnmal gelingt. Darüber werde in den nächsten Wochen zu reden sein. Es gehe vor allem darum, das "Nie mehr wieder" und ein Zeichen für die jederzeitige Solidarität einer Mehrheit mit einer Minderheit deutlich zu machen. Zum Unterschied zu einem vergleichbaren Projekt in Deutschland werde darüber nicht jahrelang, sondern nur einige Monate beraten. Es sei verständlich, daß Irritationen entstehen, wenn die jüdische Gemeinde ihre seinerzeitige Zustimmung anscheinend aufweicht. Die Stadt werde ihre Verpflichtung zur Entscheidung nicht delegieren, es wäre aber, so Marboe, unsensibel, die Kultusgemeinde nicht zu hören. Jetzt sollen die wechselseitigen Standpunkte noch einmal diskutiert werden.

Abstimmung: Mit Mehrheit angenommen; der Beschlußantrag blieb in der Minderheit. (Forts.) and/rr

(RK vom 27.11.1997)