Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 18.12.1998:
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Leitlinien der Wiener Drogenpolitik

Wien, (OTS) Am Freitag präsentierte Gesundheitsministerin Lore Hostasch gemeinsam mit dem Leiter der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle und dem Wiener Drogenkoordinator Peter Hacker den "Europäischen Drogenbericht 1998". Im Rahmen des Pressegespräches skizzierte Drogenkoordinator Hacker auch die Leitlinien und ...

Wien, (OTS) Am Freitag präsentierte Gesundheitsministerin Lore Hostasch gemeinsam mit dem Leiter der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle und dem Wiener Drogenkoordinator Peter Hacker den "Europäischen Drogenbericht 1998". Im Rahmen des Pressegespräches skizzierte Drogenkoordinator Hacker auch die Leitlinien und Grundsätze der Wiener Drogenpolitik sowie die internationalen Aktivitäten Wiens auf diesem Gebiet.

Zahl der Drogenopfer in Wien nimmt weiter ab

Mit Stichtag 17. Dezember 1998 wurden in Wien 80 Drogenopfer verzeichnet. Damit liegt dieser Wert unter dem Niveau von 1992.

Grundlage einer erfolgreichen Drogenpolitik: Das Wiener Drogenkonzept

Seit 1992 wird in Wien auf der Grundlage des Wiener Drogenkonzeptes eine offensive Drogenpolitik umgesetzt. Leitgedanke dafür ist eine "integrierte Drogenpolitik", deren Ziel die Integration Drogengefährdeter und abhängiger in die Gesellschaft ebenso wie die Integration der Arbeit und Betreuung dieses Personenkreises in das soziale und medizinische Netz der Stadt ist.

Auf der Grundlage eines 4-Säulen-Modells stellen die Bereiche

  • Prävention
  • Soziales
  • Gesundheit
  • Sicherheit

die gleichberechtigten Handlungsfelder dar, in denen drogenpolitische Maßnahmen gesetzt werden. Und zwar aufeinander abgestimmt, einander ergänzend und im Sinne des gemeinsamen drogenpolitischen Leitgedankens.

Für Wien wurde eine pragmatische Vorgangsweise für die einzelnen notwendigen Entscheidungen entwickelt. Im wesentlichen wurden folgende Schwerpunkte gesetzt:

  • Prävention:
Suchtprävention wurde auf eine pädagogische Grundlage gestellt und folgt (im Sinne der WHO-Empfehlungen) Prinzipien der Gesundheitsförderung. Zur Umsetzung wurde die Informationsstelle für Suchtprävention der MA 15 Gesundheitswesen eingerichtet, deren Aufgaben umfassen:

Aus- und Weiterbildung von Schlüsselpersonen (Lehrer, Sozialarbeiter, Jugendarbeiter, etc.) in enger Zusammenarbeit mit den Aus- und Weiterbildungsstätten der jeweiligen Berufsgruppen. Entwicklung und Unterstützung von Modellprojekten Weiterentwicklung des "state of the art" von Suchtprävention. Aufbereitung und Kommunikation von spezifischen Informationen und Unterlagen.

Im Bereich der Sekundärprävention wurden neue Modelle entwickelt, um spezielle Risikogruppen direkt anzusprechen.

  • Soziales:
Die Bereiche Wohnen, Ausbildung, Arbeit und Schuldenregulierung bilden einen elementaren Bestandteil der Beratung und Betreuung von Suchtkranken. Es wurden sowohl spezielle Programme eingerichtet als auch (im Sinne einer integrierten Drogenpolitik) eine enge Kooperation zu den spezifischen Hilfsnetzen aufgebaut, die nicht auf Drogenabhängige spezialisiert sind.

Der Zugang zu sozialer Hilfe und Unterstützung ist in Wien, wie für alle benachteiligten Gruppen, niederschwellig und unkompliziert gestaltet. Vielfach wurden auch aufsuchende Modelle entwickelt (beispielsweise in der "typischen" Drogen-Opiat-Szene oder der Ecstasy-Szene).

  • Gesundheit:
Im Bereich der Behandlung und Betreuung von Suchtkranken wurde ein differenziertes Netzwerk ambulanter und stationärer Einrichtungen aufgebaut. Individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse des Patienten stehen abstinenzorientierte und Methoden der Substitutionsbehandlung ebenso wie suchtbegleitende Modelle zur Verfügung. Um die Eintrittsschwelle zur Behandlung so niedrig wie möglich zu halten, besteht die Möglichkeit von anonymer Beratung in dezentralen Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe. Weiters wurden (vor allem zur Substitutionsbehandlung) die niedergelassenen praktischen Ärzte und die Apotheken zu einer umfangreichen Zusammenarbeit gewonnen.

Eine wesentliche Rolle spielt in Wien die Verhinderung von gesundheitlichen Konsequenzen des Drogenkonsums, wie Hepatitis und Aids Spritzentausch, anonyme freiwillige HIV- und Hepatitistests sind daher selbstverständlich. Für die Betreuung von suchtkranken Schwangeren und ihren Neugeborenen wurde ein eigenes Schwerpunktprogramm in enger Zusammenarbeit mit der Jugendwohlfahrt und den Kinder- und Jugendärzten entwickelt.

  • Sicherheit:
Die Wiener Drogenpolitik folgt, wie auch die österreichische Drogenpolitik, dem Grundprinzip "Helfen statt strafen". Der Schwerpunkt der Arbeit der Exekutive und der Justiz liegt daher auf der Verfolgung des organisierten, professionellen Drogenhandels und der Geldwäsche, und nicht auf der Verfolgung von Drogenkonsumenten (bzw. Besitzern kleiner Mengen von Suchtgiften).

Im Bereich der Konfliktregulierung im öffentlichen Raum besteht in Wien eine lange Tradition der Zusammenarbeit zwischen Polizei und sozialen Institutionen. Dies betrifft auch sogenannte "Szeneplätze", an denen eine gemeinsame Präsenz von Polizei und Sozialarbeitern selbstverständlich ist.

Breite Akzeptanz der Drogenpolitik in der Bevölkerung

Durch die Umsetzung des Wiener Drogenkonzeptes mit seinen zahlreichen Maßnahmen ist es gelungen, die Drogensituation entscheidend zu beeinflussen. Mehrere tausend Suchtkranke konnten in langfristige Behandlung genommen werden, die HIV- Ansteckungsrate konnte reduziert werden und auch die Anzahl von Überdosierungsfällen (sowohl mit letalem als auch nicht letalem Verlauf) konnte auf einen Bruchteil von früher reduziert werden. Die Notwendigkeit von Hilfe und Behandlung für Suchtkranke stößt heute auf breite Akzeptanz sowohl der Betroffenen und ihrer Angehörigen als auch in der Bevölkerung.

Die Belastung an sogenannten "Szeneplätzen" durch sozial- und verhaltensauffällige Personen bzw. der Verkauf von Drogen und die damit einhergehende Begleitkriminalität konnten wesentlich reduziert werden.

Suchtprävention ist heute bereits vielfach Bestandteil in der Ausbildung von Lehrern, Sozialarbeitern, Jugendarbeitern, KindergärtnerInnen und ähnlichen Berufsgruppen. Die pädagogische Ausrichtung von Suchtprävention nach den Wesensmerkmalen von Gesundheitsförderung hat zu einer Abkehr von Kampagnen und kurzfristigen Aktionen hin zu strukturiertem und prozesshaftem Verständnis geführt.

Die Grundsätze und Ziele der Wiener Drogenpolitik werden heute von weiten Teilen der Wiener Bevölkerung mitgetragen und unterstützt. Dies wird auch durch regelmäßig durchgeführte empirische Studien überprüft.

Das Neue Wiener Drogenkonzept

Im Auftrag des Wiener Gemeinderates wurde im vergangenen Jahr neuerlich eine Wiener Drogenkommission eingesetzt, die in ausführlichen Arbeitssitzungen die bisherige Entwicklung und die zukünftigen Schwerpunkte der Wiener Drogenpolitik diskutiert hat. Zurzeit laufen die redaktionelle Arbeit und politische Beratungen über das Neue Wiener Drogenkonzept, das vom Wiener Gemeinderat noch im Frühjahr nächsten Jahres beschlossen werden wird.

Lokale Drogenpolitik im nationalen und internationalen Kontext

Auf der Grundlage des Wiener Drogenkonzeptes wurde eine Drogenpolitik entwickelt, die auf die lokalen Bedürfnisse und Herausforderungen zugeschnitten ist und sehr eng in Zusammenhang mit der sozialen, medizinischen und jugendpolitischen Tradition der Stadt verstanden werden muß. Trotzdem (oder gerade deshalb) bildet die enge Zusammenarbeit mit den anderen österreichischen Bundesländern und den Bundesministerien einen wichtigen Bestandteil in der Umsetzung des Wiener Drogenkonzeptes. Wien ist in der Gestaltung der österreichischen Drogenpolitik sehr engagiert, da sehr starke Wechselwirkungen zwischen regionalen und nationalen Entscheidungen bestehen. Spätestens seit dem österreichischen Beitritt zur Europäischen Union werden auch die Entwicklungen auf europäischer Ebene beachtet und fließen in die lokalen Überlegungen mit ein.

Diese Überlegungen haben wesentlich dazu beigetragen, daß Wien im Oktober dieses Jahres, mit wesentlicher Unterstützung der Europäischen Kommission, der Vereinten Nationen (deren Drogenkontrollprogramm seinen Sitz in Wien hat) und mit dem Gesundheits- und Außenministerium die Europäische Konferenz zur Suchtprävention veranstaltet hat. Die Diskussionen bei dieser Konferenz, die die Auftaktveranstaltung zur Europäischen Woche der Suchtprävention war, haben gezeigt, daß moderne Drogenpolitik in der Lage sein muß, lokale, nationale und internationale Maßnahmen gemeinsam zu entwickeln und aufeinander abzustimmen. Wien wird seinen diesbezüglichen Beitrag auch in Zukunft leisten. (Schluß) nk

(RK vom 18.12.1998)