Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 05.05.2000:
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Rieder: "Nach Patienten werden jetzt Spitäler zu Sündenböcken"

Wien, (OTS) "Nach den Patienten werden jetzt die Spitäler von der Bundesregierung zu Sündenböcken gestempelt", kommentierte Wiens Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder am Freitag Äußerungen von Gesundheitsstaatssekretär Dr. Reinhart Waneck, wonach die Spitalsambulanzen die "Wurzel allen Übels" seien. Rieder äußerte ...

Wien, (OTS) "Nach den Patienten werden jetzt die Spitäler von der Bundesregierung zu Sündenböcken gestempelt", kommentierte Wiens Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder am Freitag Äußerungen von Gesundheitsstaatssekretär Dr. Reinhart Waneck, wonach die Spitalsambulanzen die "Wurzel allen Übels" seien. Rieder äußerte diese Kritik im Rahmen der Eröffnung der "21. Wissenschaftlichen Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie" im Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel.

Rieder: "Was generell gilt, gilt für die Psychiatrie ganz besonders. Nämlich, dass der niedergelassene Bereich in seiner jetzigen Form niemals die Leistungen, die in Spitalsambulanzen erbracht werden, auffangen kann. Patienten haben somit die Wahl, in den Ambulanzen Strafselbstbehalte zu zahlen oder aber, etwa in den Abend- und Nachtstunden und an Wochenenden, keine medizinische Betreuung zu haben."

Denn auch in Österreich stehe die Psychiatrie weiterhin im Schatten anderer medizinischer Fächer und ist in Teilen Österreichs ein exemplarisches Stiefkind der Gesundheitspolitik. Rieder: "Von der Schwarz-Blauen Regierung wird sie offenkundig überhaupt ignoriert. Im Eifer ihrer Geldbeschaffungsaktion sieht sie über die besondere Situation psychiatrischer PatientInnen hinweg. Es ist absurd, von einem psychisch kranken Menschen den "Strafselbstbehalt" von 250 Schilling zu verlangen, wenn er gar keine Möglichkeit hat, einen niedergelassenen Psychiater aufzusuchen, weil es österreichweit zu wenige gibt. Das gestern von Gesundheitsstaatssekretär Waneck geprägte Wort von der Spitalsambulanz als Wurzel des Übels ist Ausdruck dafür, dass offensichtlich neben den Patienten nun auch die Spitäler zu Sündenböcken abgestempelt werden sollen. Obwohl gerade in der psychiatrischen Versorgung die Ambulanzen oft die einzige Hilfe sind."

Rieder: "In Weiterentwicklung der Wiener Psychiatriereform werde ich ein Reformpaket vorlegen, das in einem internationalen Expertensymposium beraten und schließlich noch heuer im Wiener Gemeinderat beschlossen werden soll. Einer der Schwerpunkte dieses Reformpaketes wird - neben den Projekten Alterspsychiatrie und Alkoholabhängigkeit - die Kinder- und Jugendpsychiatrie sein."

Noch immer bleiben psychische Krankheiten, die die Ursache von "Verhaltensauffälligkeiten" sind, unerkannt und unbehandelt und noch immer bleiben viele Kinder und junge Menschen und deren Eltern mit den sich daraus ergebenden Problemen sich selbst überlassen.

Wien verfügt über eine ganze Reihe von Einrichtungen, die sich von verschiedenen Ansätzen her mit der Vielfalt psychischer Probleme im Kinder- und Jugendalter befassen. Viele sind in der Jugendwohlfahrt und in der Behindertenhilfe verankert. Im Gesundheitsbereich selbst bilden die Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters am AKH, die Abteilung für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters mit Behindertenzentrum am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel und die Abteilung Kinder- und Jugendheilkunde - Kinderklinik Glanzing mit Neonatologie und Psychosomatik die medizinischen Versorgungszentren. Dazu kommen beispielsweise Einrichtungen für Entwicklungsdiagnostik im Rahmen des Gesundheitsamtes sowie Ambulanzen des Kuratoriums für psychosoziale Dienste (PSD) in Wien.

Ungeachtet dessen geht es über eine bloße patienten- und problemorientierte Vernetzung hinaus um einen Ausbau der integrativen und sozialorientierten Elemente der Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Wir wollen einfach psychisch kranke Kinder nicht zur Behandlung wegsperren und verwahren. Wir wollen die Kinder und Jugendlichen vielmehr in ihrer gewohnten Lebenssituation belassen. Unser Ziel ist es, nicht die psychische Krankheit isoliert zu behandeln, sondern die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Krankheit im gesamten Beziehungsgeflecht und unter Bedachtnahme auf die gesamte Lebenssituation umfassend medizinisch, sozial und pädagogisch zu betreuen", schloss Rieder. (Schluss) nk/bs

(RK vom 05.05.2000)