Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 23.11.2000:
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Festakt "80 Jahre Verfassung der Bundeshauptstadt Wien"

Wien, (OTS) Vor 80 Jahren wurde das Bundesland Wien in der Bundesverfassung erstmals erwähnt. "80 Jahre Verfassung der Bundeshauptstadt Wien" waren Anlass für eine Festsitzung des Wiener Landtages, die Donnerstag unter dem Vorsitz von Erster Landtagspräsidentin Maria Hampel-Fuchs im Gemeinderatssitzungssaal des ...

Wien, (OTS) Vor 80 Jahren wurde das Bundesland Wien in der Bundesverfassung erstmals erwähnt. "80 Jahre Verfassung der Bundeshauptstadt Wien" waren Anlass für eine Festsitzung des Wiener Landtages, die Donnerstag unter dem Vorsitz von Erster Landtagspräsidentin Maria Hampel-Fuchs im Gemeinderatssitzungssaal des Rathauses stattfand. Festredner waren Bundespräsident Dr. Thomas Klestil, Landeshauptmann Dr. Michael Häupl und der frühere Landtagspräsident Univ.-Prof. Dr. Manfried Welan. An dem Festakt nahmen neben der Wiener Landesregierung und Landesamtsdirektor Dr. Ernst Theimer auch Landtagspräsidenten anderer Bundesländer, zahlreiche frühere Landtagsabgeordnete, Mitglieder des Bundesrates, Bezirksvorsteher sowie die erste weibliche Landtagspräsidentin Wiens, Maria Hlawka, teil.****

Bei der Begrüßung erinnerte Erste Landtagspräsidentin Maria Hampel-Fuchs an das Bundesverfassungsgesetz von 1920, in dem erstmals das Land Wien erwähnt wurde, und zwar in Zusammenhang mit Niederösterreich (Land und Wien). Am 10. Oktober 1920 trat der Gemeinderat von Wien erstmals als Landtag zusammen und beschloss die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, unterstrich Hampel- Fuchs. Die Landtagspräsidentin erinnerte auch daran, dass Bereichsdirektor Dr. Josef Ponzer, der Jahrzehnte hindurch als Landtagsdirektor und Verfassungsexperte im Bereich des Landes Wien gewirkt hatte, bei der Katastrophe von Kaprun ums Leben gekommen ist.

Welan: Wir brauchen neue österreichische Grundrechte

Die Verfassung der Stadt Wien sei in Aufbau und Inhalt von 1920 bis heute im wesentlichen erhalten geblieben. Sie habe bereits 1920 alles enthalten, was man brauche, und das auf Dauer, sei konzentriert und übersichtlich und vermittle Rechtssicherheit - mehr als die Bundesverfassung, erklärte Univ.-Prof. Dr. Manfried Welan, der selbst jahrelang dem Wiener Landtag angehört und als Landtagspräsident fungiert hatte. In seinem Rückblick auf die Entstehung der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien - seit 1922 bildet Wien ein eigenes Bundesland - verwies er darauf, dass die Wiener Verfassung, entsprechend der Zweiteilung Wiens in Gemeinde und Stadt bzw. Land, aus zwei Verfassungen, nämlich dem Stadtrecht und der Landesverfassung, bestehe. Er unterstrich auch die Rolle der Verwaltung: "Die beste Verfassung ist eine gute Verwaltung".

Der Sinn einer Verfassung sei es auch, politische Macht zu legitimieren - dies erfolge durch die Wahl - und zu limitieren, dies erfolge durch Grundrechte. "Wir brauchen neue österreichische Grundrechte", forderte der Verfassungsexperte. Welan sprach außerdem über die Rolle der Mehrheit und das Thema Kontrolle und mahnte, die Mehrheit müsse auch stark genug sein, die Schwachen zu schützen und ihnen zu helfen. Die Stärke Wiens messe sich am menschenwürdigen Dasein der BewohnerInnen. Zivilgesellschaft, Stadt und Staat seien aufeinander verwiesen und angewiesen. Wien müsse auch für mehr Verfassungsautonomie eintreten. Die Tatsache, dass in Wien die "Nur-Einwohner" kaum Rechte hätten, wobei die Unionsbürger immerhin bei den Bezirksvertretungswahlen wahlberechtigt seien, und allein die Gemeindemitglieder, ÖsterreicherInnen mit Hauptwohnsitz in Wien, alle Rechte hätten, sei bundesverfassungsgesetzlich einwandfrei, doch sei es auch gerecht? fragte Welan. Verfassungen sollten auch integrieren. Auch Partizipation führe zur Integration.

Häupl: Europäisierung und Begriff der Region werden wichtiger

Landeshauptmann Dr. Michael Häupl erinnerte in seiner Rede an die 1920 im Rahmen einer Stadtverfassungsenquete geäußerten Gedanken des Staatsrechtlers, damaligen Staatskanzlers und späteren Bundespräsidenten Karl Renner. Dieser trat für die Einbeziehung gewählter Gemeinderäte in die Verwaltungsarbeit ein und begründete dies mit der Notwendigkeit, Konflikte zu lösen und Kompromisse auszuarbeiten. Dieses Prinzip, so Häupl, diese Kooperations- und Kompromissfähigkeit stelle das Erfolgsgeheimnis der Wiener Stadtverfassung dar: Trotz zahlreicher kontroverser Debatten erfolge die Mehrheit der Beschlüsse im Gemeinderat und Landtag bis heute einstimmig.

Wurde vor acht Jahrzehnten die Abtrennung Wiens von Niederösterreich vorgenommen und Wien damit die Länderrechte zuerkannt, so verlieren heute im europäischen und globalen Wettbewerb Bundesländergrenzen zunehmend an Bedeutung, wies Häupl auf die immer wichtiger werdende Region Wien und die Kooperation mit dem Umland im Interesse der Stärkung des Wirtschaftsstandortes Wien hin. In Wien, in dem ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung beheimatet ist, befinde sich ein Viertel aller Arbeitskräfte. 29 Prozent der österreichischen Bruttowertschöpfung stammten aus der Bundeshauptstadt, mehr als 47 Prozent aus der "Vienna Region". Ebenso unterstrich Häupl die Tatsache, dass europaweit die nationalstaatlichen Grenzen immer mehr in den Hintergrund treten. Diese Tendenz könne nur mit einer Stärkung der Regionen und Städte Europas einhergehen: "Das Haus Europa muss ein Fundament in starken und unabhängigen Regional- und Lokalverwaltungen haben."

Klestil: Notwendiges populär machen

"Gedenktage wie dieser verlangen einen Blick zurück, zwingen zur Bilanz und zu einem Blick in die Zukunft", stellte Bundespräsident Dr. Thomas Klestil fest. Der Herbst 1920 sei eine wichtige Zeit für Österreich gewesen: Am 1. Oktober 1920 trat die Bundesverfassung in Kraft, der erste Bundespräsident Österreichs wurde gewählt und die Kärntner votierten für einen Verbleib bei Österreich. In Wien herrschte große Armut, die Wienerinnen und Wiener durften den Wienerwald nicht mit Holzschlaggeräten betreten. Doch war diese Republik zu großen Taten fähig. Klestil verwies auf die außergewöhnlichen Leistungen der Sozialdemokraten sowie auf das Kunst- und Kulturleben in Wien. Zwei Elemente der Verfassung seien ausschlaggebend für das Erfolgsgeheimnis des österreichischen Weges gewesen: der föderalistische Aufbau der Republik und die Kontinuität der Verfassung.

Die Frage sei, sagte Klestil, ob mit der heutigen Bundesverfassung die Probleme der Zukunft gelöst werden könnten. Die Demokratie sei eine Wertegemeinschaft, die auf Toleranz, Solidarität und Mitverantwortung für das Gemeinwohl basiere. Das "Wir-Gefühl" sei jedoch schwächer geworden, die Entfremdung von der Politik zum Bürger immer stärker. Dies sei eine große Herausforderung für die Politiker der Gegenwart. Wie stark ist der Wille zum unpopulären Notwendigen, folgt Politik den Gesetzen der Medien, wie groß ist die Angst vor engagierten parteilosen Bürgern und was ist gegen den Politfrust der Jugendlichen zu tun - diese Frage müsse man sich heute immer wieder stellen. Es gebe die große Versuchung, das zu tun, was populär ist, statt das Notwendige populär zu machen.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges erfülle die Großstadt Wien eine neue Rolle. Sie sei zum Anziehungs- und Kristallisationspunkt für Zentraleuropa geworden.

"Herzliche Gratulation dem Wiener Landtag zu seinem Festakt. Arbeiten wir weiterhin alle gemeinsam für eine erfolgreiche Zukunft unseres Vaterlandes und der Republik Österreich", sagte Klestil.

(Schluss) hrs/eb/bs/rr

(RK vom 23.11.2000)