Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 20.06.2012:
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HistorikerInnen-Bericht: intensive Aufarbeitung und Weichenstellung für die Zukunft

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Bericht der HistorikerInnen-Kommission zur Untersuchung von Gewalt in Kinderheimen der Stadt Wien durch Univ. Prof. Dr. Reinhard Sieder liegt vor


"Es war der ausdrückliche Wunsch vieler Opfer, dass man ihnen Gehör verschafft und ihrer Geschichte Glauben schenkt. Deshalb haben wir kurz nach dem Bekanntwerden der ersten Gewalt und Missbrauchsfälle in ehemaligen städtischen Kinderheimen eine seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung, wie es dazu kommen konnte, in Auftrag gegeben", so Stadtrat Christian Oxonitsch anlässlich der Präsentation des Berichtes der HistorikerInnen-Kommission zur Untersuchung von Gewalt in Kinderheimen der Stadt Wien durch Univ. Prof. Dr. Reinhard Sieder, am 20. Juni 2012. Der Bericht wird Ende 2012 publiziert und ist dann im Buchfachhandel erhältlich. "Es sind unfassbare, erschütternde Geschichten, die diese Menschen erzählen und ich bewundere die Kraft, mit der sie ihr Leben weiter gelebt haben. Ich möchte die Opfer an dieser Stelle noch einmal um Entschuldigung bitten. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit Kindern so etwas nicht mehr widerfährt", so Oxonitsch in tiefer Betroffenheit. Der Bericht der HistorikerInnen-Kommission zur Untersuchung von Gewalt in Kinderheimen der Stadt Wien wird nun von der MA 11 und der Wilhelminenberg-Kommission nach Informationen durchsucht, die einer weiteren, konkreten Aufklärung von strafrechtlich relevanten Vergehen dienlich sein können. Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe der MA 11 wird den Bericht auch unter dem Aspekt heutiger Strukturen und Mechanismen durcharbeiten und gegebenenfalls daraus Verbesserungen und Maßnahmen erarbeiten.

550 Unterstützungen beschlossen - Gewalt bei 100 Prozent der Fälle

Oxonitsch: "Nach Bekanntwerden der ersten Gewalt und Missbrauchsfälle Anfang 2010 war es uns sehr wichtig sofort zu reagieren, Unterstützungen zu leisten und die Opfer offiziell für ihr erlittenes Leid um Entschuldigung zu bitten. Wir wissen, dass wir Geschehenes damit nicht wieder gut machen können, aber wir wollen damit zumindest ein Zeichen setzen." Insgesamt wurden bis 19. Juni 2012 769 Fälle in den Gremiumssitzungen des Weissen Ring behandelt. Davon wurde für 550 Personen Unterstützungen beschlossen und für 396 wurde Psychotherapie bewilligt (gesamt rund 25.000 Stunden). Die meisten Meldungen entfallen auf die ehemaligen Heime Wilhelminenberg (132), Eggenburg (91 Meldungen), Hohe Warte (86), Hütteldorf (64), die KÜSt (Kinderübernahmsstelle, 64) und Biedermannsdorf (59).

Insgesamt haben sich bisher 1.105 Menschen beim Weissen Ring gemeldet. In praktisch 100 Prozent der Fälle fand körperliche und psychische Gewalt statt, davon in 44 Prozent der Fälle auch sexualisierte Gewalt. Bisher wurden für die Unterstützungen Mittel in Höhe von insgesamt 17,1 Millionen Euro beschlossen.

Weichenstellungen für die Zukunft

"Neben der Aufarbeitung der Vergangenheit stehen für mich auch die Weichenstellungen für die Zukunft der Wiener Jugendwohlfahrt an oberster Stelle. Kinder, für die wir als Stadt Wien Verantwortung tragen, sollen – nachdem sie meist schon viel Schlechtes erleben mussten – eine gute Kindheit und Jugend haben und die besten Chancen für ihre Zukunft mit auf den Weg bekommen. Die Wiener Jugendwohlfahrt hat österreichweit die höchsten Standards, aber wenn es um das Wohl von Kindern geht, dürfen wir nie aufhören an Verbesserungen zu arbeiten", so Oxonitsch weiter. In den letzten Monaten wurden deshalb bereits auf allen Ebenen Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Sicherung des Wohls der Kinder in die Wege geleitet.

Kinder möglichst in ihrem Lebensumfeld belassen

Kinder, die nicht mehr in ihren Familien leben können, sollen künftig möglichst in ihrem gewohnten Lebensumfeld belassen werden, damit sie weiterhin ihre Freunde treffen können oder die Schule nicht wechseln müssen. Deshalb werden derzeit die letzten größeren sozialpädagogischen Einrichtungen in den Bundesländern, wie beispielsweise in Pitten, Stiefern oder Eggenburg, sukzessive aufgelöst, damit die Wiener Kinder in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften in Wien leben können. Oxonitsch: "Auch dort wurden die Kinder nach aktuellen sozialpädagogischen Standards und in Wohngemeinschaften betreut, aber der Schritt, sie nach Wien zu holen, ist mir wichtig. Wenn man so will, ist das der Abschluss der Heimreform 2000. Und es ist Zeit, dass wir ein neues Kapitel aufschlagen."

Rechte der Kinder stärken und schützen

Seit März 2012 steht den Wiener Kindern ein Ombudsmann als externer, unabhängiger Ansprechpartner zur Wahrung ihrer Rechte zur Verfügung. Unabhängig davon wurde in der MA 11 ein eigener Kinderrechtebeauftragter installiert. DSA Otmar Mittermayr, nebenberuflich Präsident des Vereins KinderrechteBüro Österreich, arbeitet derzeit mit einer Gruppe von MitarbeiterInnen an der Überprüfung der Arbeit der Jugendwohlfahrt unter dem Aspekt der Kinderrechte im Alltag. Auf diesen Ergebnissen basierend sollen flächendeckend weitere Veränderungen bzw. Maßnahmen umgesetzt werden.

Ziele und Wünsche der Kinder stehen im Vordergrund

Derzeit in Umsetzung ist die Einführung von regelmäßigen, standardisierten Interviews von Kindern und Jugendlichen in Wohngemeinschaften. Sie sind ein zusätzliches Instrument der Qualitätssicherung. Sie werden von einer der jeweiligen Pädagogischen Leiterin oder dem jeweiligen Pädagogischen Leiter durchgeführt. Diese Vorgangsweise sichert einen objektiven Blick von außen. Kinder können hier Wünsche, Ziele aber auch Probleme besprechen. Diese Gespräche bringen eine verstärkte Beteiligung der Kinder, ihre unmittelbare Lebenssituation betreffend. Den Kindern wichtige Themen werden im Alltag prioritär berücksichtigt.

Gesetzliche Rahmenbedingungen zum Schutz von Kindern schaffen

"Da eine bundeseinheitliche Lösung immer mehr in die Ferne rückt, arbeiten wir derzeit in Wien an der gesetzlichen Verankerung von Qualitätsstandards wie das Vier-Augenprinzip, die Hilfeplanung, Partizipation von Kindern oder der Dokumentation. Sie sollen in Wien in einem zeitgemäßen Kinder- und Jugendhilfegesetz festgeschrieben werden", kündigt Oxonitsch an. Bereits gesetzlich verankert in einer Novellierung des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes wurde in Wien als einem der ersten Bundesländer die Erweiterung der Abklärungsmöglichkeiten auf Sexualstraftaten bei der Neuaufnahme von Personal, aber auch für Menschen im Umfeld von Kindern. Es kann durch die Gesetzesregelung jedoch auch bei begründetem Verdacht gegen eine bestimmte Betreuungsperson auch bei schon länger andauernden Beschäftigungsverhältnissen in die Sexualstraftäterdatei Einsicht genommen werden. Dies ermöglicht ein rasches Handeln und stellt einen wichtigen und effizienten Schutz für das Kindeswohl dar.

Bildung, Schulung und Unterstützung sichern hohe Qualität

Die von der MA 11 geforderten Ausbildungsstandards für die Arbeit in WGs sind strenger als in anderen Bundesländern. Die Auswahl der Berufsgruppen, die in Wien in einer MA 11-Wohngemeinschaft arbeiten dürfen, ist wesentlich eingeschränkter als in einigen Bundesländern (dort dürfen auch Lehrer, Lebens- und Sozialberater u.a.m.), das sichert Qualität in der Sozialpädagogik. "Die MitarbeiterInnen leisten Tag für Tag großartige Arbeit mit und für die Kinder. Es ist aber wichtig, sie durch laufende Weiterbildung in ihrer Arbeit zu unterstützen." SozialpädagogInnen haben in Wien Anspruch auf mindestens 40 Stunden interne oder externe Fortbildung pro Jahr. Mittlerweile haben rund 50 Prozent der BerufsanfängerInnen im Bereich der Sozialpädagogik eine akademische Ausbildung (Universität, Fachhochschule). Für neue MitarbeiterInnen in den Krisenzentren wird derzeit ein Krisenlehrgang erarbeitet, der auf die speziellen Arbeitsbedingungen in diesem Kontext eingeht und einen weiteren Qualifizierungsschritt im Rahmen der Krisenarbeit darstellt.

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