Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 30.01.2020:
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64. Wiener Gemeinderat (2)

GR David Ellensohn (Grüne) sah den Grund für die heutige Gemeinderatssitzung in „den ewig-gierigen blauen Kameraden“, welche die vergangene türkis-blaue Bundesregierung „zu Fall gebracht“ hätten. Nun „atmet ein ganzes Land auf und ist froh, der türkis-blaue Spuk ist vorbei“. Das Programm der neuen Bundesregierung sei „weder Wunschkonzert der Grünen noch der ÖVP“ – jede Koalition bedeute das Eingehen von Kompromissen. Er hoffe jedenfalls „dass hier mehr Grün auf Türkis abfärbt“ als andersherum. Ellensohn ging auf die grünen Mitglieder der Bundesregierung ein: Vizekanzler Kogler („redet mit Menschen, sucht das Gespräch“); Justizministerin Zadic („ein Vorbild für viele und eine klassische erfolgreiche Aufsteigergeschichte“); Klimaschutzministerin Gewessler („eine Frau, die sich auskennt“); Sozialminister Anschober („sehr hartnäckig, setzt viel um“) sowie Kultur-Staatssekretärin Lunacek („schon im Europarlament berühmt und angesehen für ihre Arbeit“). In Stichworten griff Ellensohn auch Punkte aus dem türkis-grünen Bundesregierungsprogramm und deren Auswirkungen auf Wien ein: Vom Chancenindex und der Förderung von Schulen mit besonderen Herausforderungen werde Wien profitieren, genauso wie von mehr SozialpädagogInnen und administrativem Personal an Schulen; der „Fonds für Schulveranstaltungen“ wie Skikurse werde Kindern aus einkommensschwachen Familien die Teilnahme ermöglichen; die Lehre werde aufgewertet und zur wichtigen Alternative zum Uni-Studium; Kindergärten und der elementarpädagogische Bereich würden ausgebaut – wobei Wien hier im Bundesländervergleich schon weit voran sei. „Wenn wir das alles so umsetzen, stehen wir in fünf Jahren definitiv besser da als heute“, schloss Ellensohn.

GR Dr. Kurt Stürzenbecher (SPÖ) meinte: Die FPÖ habe sich bei der Einberufung des Gemeinderats zu dem Thema „wohl gedacht, das ist eine gute Gelegenheit, dass sich Rot und Grün bashen“ – und die FPÖ daraus ihre Vorteile zieht. „Dafür stehen wir nicht zur Verfügung“, sagte Stürzenbecher, der an „die seit neun Jahren gute Zusammenarbeit mit den Grünen“ auf Stadtregierungsebene verwies. Gemeinsam habe man in Wien viel weitergebracht, „und wir haben noch viel vor“. Auf Wien als Hauptstadt könnten die Menschen in Österreich bundesländerübergreifend „stolz“ sein – auch wenn „einige ÖVP-Politiker gerne Wien-Bashing betreiben“. Die neue Bundesregierung werde aus Wiener Sicht jedenfalls „an ihren Taten und ihrem Verhalten Wien gegenüber gemessen“, meinte Stürzenbecher. „Wir werden die einzelnen Vorhaben auf Basis der Fakten analysieren“ – und sich dann entweder dafür oder dagegen aussprechen. Dass sich im Bundesprogramm „mehr die ÖVP als die Grünen durchgesetzt“ habe, „muss man aber schon sagen“. Für Stürzenbecher seien die vielen Maßnahmen zum Klimaschutz „sehr positiv“ zu bewerten – gleichzeitig sei „erstaunlich viel“, was im Regierungsprogramm zum Klimaschutz stehe, in Wien „längst verwirklicht“: der Verzicht auf Kohle und Heizöl, der Öffi-Ausbau, die Verringerung der CO2-Emissionen oder die Verankerung des Klimaschutzes in der Bauordnung und der Wohnbauförderung. „Da handelt es sich teilweise um ein Abschreib-Programm aus der Politik der Wiener SPÖ“, so Stürzenbecher. Auch den Ausbau der Kindergärten und das Erreichen der „Barcelona-Ziele“ (also dem Deckungsgrad von Kindergarten-Plätzen auf die Einwohnerzahl gerechnet) habe Wien schon umgesetzt, genauso wie arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Langzeit-Jobsuchende und WiedereinsteigerInnen. „Leider und bedauerlich“, meinte Stürzenbecher, seien Elemente aus der türkis-blauen Regierung im Programm übriggeblieben: etwa das Beschränken der Grund- und Freiheitsrechte durch die „Willkürhaft“ – dafür werde die SPÖ nicht zur Verfügung stehen; die europäische Menschenrechtskonvention stehe hier außer Zweifel. Diese Art von Haft könne nur verfassungskonform umgesetzt werden – „da muss man skeptisch sein“, sagte Stürzenbecher, wenn die Regierung die Verfassung so lange ändern wolle, bis die Sache verfassungskonform werde. Eine Entschuldigung forderte Stürzenbecher von FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp an die Justizministerin Alma Zadic, die „unerträglichen Angriffen“ und Hass im Netz ausgesetzt war. Auch Nepp habe sie „faktenwidrig schlecht dargestellt“. Bei den Internet-Angriffen auf Zadic ging es auch um ihr religiöses Bekenntnis. Dabei sei es egal, meinte Stürzenbecher, ob und an welches „höhere Wesen“ Zadic glaube – wichtig sei, dass sie an die Werte der europäischen Menschenrechtskonvention glaube. Stürzenbecher hoffte abschließend auf eine „gute Zusammenarbeit“ zwischen Bund und Ländern, und ein „faires Verhalten“, auch vom Bund Richtung Wien.

GRin Mag.a Bettina Emmerling, MSc (NEOS) ging als Bildungssprecherin ihrer Fraktion auf ebendiesen Bereich im Regierungsprogramm ein. Darin zu finden seien  „viele schöne Worthülsen und Versprechungen“, einiges gehe in „die richtige Richtung“ – aber ebenso vieles sei „vage und nicht im Detail geklärt“, weder hinsichtlich Zeitplan noch Finanzierung. Mit Bildungsminister Faßmann von der ÖVP habe Emmerling ein „Glaubwürdigkeitsproblem“: Als Mitglied der ehemaligen türkis-blauen Bundesregierung habe dieser „rückwärtsgewandte“ Bildungspolitik betrieben, siehe Wiedereinführung der Ziffernnoten. Es sei schwierig zu glauben, dass sich Faßmann unter Türkis-Grünen jetzt in jemand „Progressiven verwandelt“. Positiv im Regierungsprogramm sah Emmerling das Bekenntnis zur neuen „Mittleren Reife“ – wobei „komplett offen“ gelassen sei, wie diese ausgestaltet werden soll. Kritik fand sie am Pilotversuch des Chancenindex: 100 ausgewählte Schulen sollen finanzielle und pädagogische Unterstützung erfahren. Diese Förderung sei grundsätzlich richtig. Minister Faßmann habe aber bereits im Jahr 2018 ein ähnliches Programm mit 500 „Brennpunktschulen“ definiert – Emmerling wollte wissen, warum die Zahl nun um 400 Schulen reduziert werde. Dann kam sie auf das Thema „Kreuz im Klassenzimmer“ zu sprechen und brachte einen entsprechenden Antrag ein: Wer mündige Menschen erziehen wolle, brauche auch mündige Schulen – deshalb solle es den Schulen in ihrer Autonomie selbst überlassen sein, die Entscheidung über das Aufhängen von Kreuzen im Klassenzimmer zu entscheiden. Abschließend lehnte Emmerling das Kopftuchverbot ab: Das sei diskriminierend und widerspreche der Religionsfreiheit. Es müssten „die Werte des säkularen Staates sein“, die man dem politischen Islam entgegenstellen müsse – und „nicht Symbolpolitik“.

GR Dr. Wolfgang Ulm (ÖVP) freute sich über die „faire und sachliche Bewertung“ des Regierungsprogramms durch SPÖ und NEOS. Was aber die FPÖ betreffe: „Das eine Lager“ sage, die ÖVP drifte nach links und „verrät“ die Bevölkerung; das andere Lager sehe im Programm eine Fortsetzung des blauen Wegs. „Da kann sich jeder seinen Reim darauf machen“, sagte Ulm. Auch gebe es seitens der ÖVP „kein Wien-Bashing“: Nur weil die ÖVP „stolz auf Wien“ sei, müsse sie nicht gleichzeitig „stolz auf die Wiener SPÖ“ sein. Jedenfalls seien im Regierungsprogramm zahlreiche Punkte enthalten, die Wien nicht nur beträfen, sondern auch „positive Auswirkungen“ auf die Bundeshauptstadt hätten. Etwa beim Finanzausgleich und den sogenannten „Fremdpatientenkosten“: Nun kämen „Indikatoren zur Messung einheitlicher Wirkungsziele“ – vereinfach gebe es hier die Chance zur Verbesserung für Wien, das „hohe Aufwendungen“ für Spitalspatientinnen und –patienten aus den anderen Bundesländern trage. Eine „potenzielle Gefahr“ erkannte Ulm in Wiens Haltung zur Transparenzdatenbank: Während andere Bundesländer hier Daten lieferten, trage Wien nicht alle geforderten Zahlen in die Datenbank ein – hier wolle die neue Bundesregierung Sanktionen prüfen. Beim Thema Wohnen sehe das Bundesprogramm den „Vorrang für Nachverdichtung vor Bodenversiegelung“, was auch für Wien gelten müsse. Die Regierung bekenne sich zum Schaffen leistbaren Wohnraums über den geförderten Wohnbau. Dazu gehörte aber nicht nur, wie in Wien, die geförderte Mietwohnung, sondern auch das geförderte Eigentum. Um Bauen günstiger zu machen, sei auch Wien angehalten die Bauordnung zu entflechten und Normen zu vereinfachen. Apropos Bauordnung: Der Schutz von UNESCO-Welterbestätten solle laut Bundesregierung „im österreichischen Rechtskanon verbindlich gemacht“ werden – aus Sicht Ulms sei das in Wien besagte Bauordnung. Punkteweise zählte Ulm weitere Vorhaben der türkis-grünen Bundesregierung auf, die positive Auswirkungen auf Wien haben würden: Unterstützung für Schulen durch mehr Personal und Erweiterung des Musikschul-Angebots; Ausbau ganztägiger Schulformen; „Fair Pay“ von Kunst- und Kulturschaffenden für deren soziale Absicherung. Bei der Klimaschutzpolitik sah Ulm Überschneidungen zwischen Bund und Wien und erwartete sich eine „gute Zusammenarbeit“: Das Forcieren von Photovoltaik und der Abschied von fossiler Heizenergie seien auch Ziele in Wien. Überhaupt könne Wien zum österreichweiten Kompetenzzentrum für die Wasserstofftechnik werden. Mit der geplanten Steuerreform würden vor allem kleine und mittlere Einkommen entlastet, sagte Ulm. Davon profitierten die Wienerinnen und Wiener: „Nehmen wir uns das zum Vorbild und gehen wir nicht zu großzügig mit den Abgaben in Wien um.“ (Forts.) esl

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