Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 31.05.2023:
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Wiener Integrationsrat: Restriktives Staatsbürgerschaftsgesetz führt zu Demokratiedefizit in Wien und erschwert Integration

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Podiumsdiskussion zu Einbürgerung und Staatsbürgerschaft mit dem Wiener Integrationsrat

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Expert*innen fordern Gesetzesreform, mehr Ressourcen für Wiener Behörde sowie Einbürgerungskampagne.

Der Wiener Integrationsrat (W.I.R.) präsentierte gestern im Rahmen einer Podiumsdiskussion sein viertes Statement zu Staatsbürgerschaft und Einbürgerung. In den letzten 20 Jahren ist die Anzahl der Einbürgerungen und die Einbürgerungsrate in Wien im europäischen Vergleich stark gesunken, obwohl die Zuwanderung zu einem deutlichen Bevölkerungswachstum geführt hat. Mehr als ein Drittel der Wohnbevölkerung ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, wodurch ein bedeutendes Demokratiedefizit besteht. Zudem erschwert die restriktive Gesetzeslage auch den Integrationsprozess. Aufgrund von hoher gesetzlicher Hürden und langwieriger Verfahren würde die positive Wirkung zunichtegemacht.

Rainer Bauböck, Soziologe und Migrationsforscher sowie Mitglied des Wiener Integrationsrates:Der Ausschluss eines so großen Teils der Wiener Bevölkerung von der politischen Mitbestimmung bewirkt nicht nur, dass die Interessen von Menschen mit Migrationsgeschichte weniger berücksichtigt werden, sondern auch, dass die österreichische Demokratie weniger repräsentativ wird. Jüngere, einkommensschwächere und städtische Bevölkerungsgruppen haben nicht das politische Gewicht, das ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Wien hat zwar mehr Einwohner*innen als Niederösterreich, aber weniger Sitze im Parlament, weil die Sitzverteilung von der Zahl der Staatsbürger*innen abhängt.“

Gerd Valchars, Politikwissenschaftler und Mitglied des Wiener Integrationsrats: „Einbürgerung wirkt als Katalysator für soziale Integration und geht mit einem höheren Einkommen, weniger Arbeitslosigkeit, verbesserten Wohnverhältnissen und besseren Bildungschancen für Kinder einher. Doch die Bedingungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft sind zahlreich und schwer zu erfüllen. Sie stellen im Alltag vieler Betroffener hohe, zum Teil unüberwindbare Hürden dar, weshalb eine Reform unausweichlich ist. Außerdem gilt es, die Einbürgerungsverfahren zu beschleunigen.“

Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr: „Menschen aus 179 Ländern leben und arbeiten in Wien, doch die politische Mitbestimmung bleibt vielen von ihnen verwehrt. Das Staatsbürgerschaftsgesetz ist nicht mehr zeitgemäß und führt zu unglaublichen Verzögerungen in der Antragsbearbeitung. Es ist nicht nachvollziehbar, dass etwa eine hier geborene junge Frau wegen eines Studienaufenthalts im Ausland, die Staatsbürgerschaft nicht bekommt, weil sie zu lange im Ausland war. Um langfristig Hürden im Einbürgerungsprozess abzubauen, müssen diese Absurditäten ein Ende haben. Das wäre auch ein wichtiger Hebel für mehr Integration und Teilhabe.“

Reform des Staatsbürgerschaftsgesetzes und Einbürgerungskampagne gefordert

Im Detail tritt der Wiener Integrationsrat für folgende Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes auf Bundesebene ein:

  • Aufenthaltsfristen sollen verkürzt werden.
  • Einkommenshürden sollen gesenkt werden.
  • Doppelstaatsbürgerschaften sollen akzeptiert werden.
  • In Österreich geborene Kinder sollen automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, sofern sich ein Elternteil bereits fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufhält.

Weitere Empfehlungen ergehen an die Stadt und beinhalten mehr Ressourcen für die Stadt Wien Abteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35), um die Verfahren effizienter und transparenter abzuwickeln. Der bereits gestartete Reformprozess der zuständigen Behörde zeige laut W.I.R. bereits erste Wirkung, dennoch fordert er verstärkt Maßnahmen zur Vereinfachung und Verkürzung der Verfahren. Zudem soll die Stadt Wien eine eigene Einbürgerungskampagne starten, sobald der Rückstau an Anträgen in der Behörde erfolgreich bewältigt wurde. Weiters fordert der Wiener Integrationsrat die Stadtregierung auf, sich beim Bund für ein integrationsfreundliches Staatsbürgerschaftsgesetz einzusetzen und politischen Druck aufzubauen.

Podiumsdiskussion: Frühere Einbürgerung wichtig für Integrationsprozess

Für Alexander Pollak von SOS Mitmensch sei beim Thema Staatsbürgerschaftsrecht angesichts der hohen Zahl an nicht Wahlberechtigten Wiener*innen vor allem in Wien „Feuer am Dach“. Dass es unter den Menschen ohne Staatsbürgerschaft ein großes Interesse an Teilhabe gebe, zeigten Aktionen wie die „Pass-Egal-Wahl“. „Bei der ‚Pass- Egal- Wahl ist es eine Freude für Menschen sich an der Demokratie zu beteiligen – selbst wenn es nur eine symbolische Wahl ist. Diese Freude wird aber von rechten und rechtsextremen Parteien vermiest, die das Thema Staatsbürgerschaft für ihren Populismus nutzen“, sagte Pollak.

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft werde im politischen Diskus immer als letzter Schritt bei Integration dargestellt, kritisierte Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der WU Wien. Sie forderte ein Umdenken: „Die Verleihung der Staatsbürgerschaft wirkt laut Studien dann, wenn sie nach fünf bis sechs Jahren verliehen wird – später verpufft der Effekt. Bei Eingebürgerten steigt dann auch die Identifikation mit dem Staat und Demokratie. Die Staatsbürgerschaft wie eine Karotte vor die Nase zu halten, ist ein Bild, das sich verfestigt hat, spricht aber gegen die empirische Evidenz.“

Noch dazu würden viele Antragsteller*innen im Laufe des Prozesses aufgrund der hohen Auflagen frustrieren, so Mariam Singh, Leiterin Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen. „Das Gesetz ist im internationalen Vergleich eines der restriktivsten – außerdem gibt es ständige Änderungen am Gesetz.“ Oft stehe deswegen die in Wien für Einbürgerung zuständige MA 35 in der Kritik. Die Behörde sei aber sehr bemüht, verschiedene Reformen hätten gegriffen. „Wien macht viel, um Barrieren zu abzubauen, so lange sich das Gesetz nicht ändert, wird sich aber wenig verbessern lassen.“

Mittelfristig müsse Österreich daher auch Doppelstaatsbürgerschaften als Chance erkennen, so die Expert*innen. Österreich gehöre schon zu einer verschwindenden Minderheit an Staaten, die diese nicht zulässt. Deutschland diene hier als Vorbild, dort seien Doppelstaatsbürgerschaften kein Problem und würden auch die Realität in einer mobilen und modernen Welt darstellen.

Das vollständige Statement gibt es  unter: https://integrationsrat.wien.gv.at/statements 

Fotos in Kürze unter: https://presse.wien.gv.at/

Hier finden Sie mehr Informationen zum Angebot der Stadt Wien Abteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35): https://www.wien.gv.at/verwaltung/staatsbuergerschaft/index.html

Rückfragehinweis für Medien

  • Julia Kernbichler
    Mediensprecherin des Vizebürgermeisters Christoph Wiederkehr, MA
    Tel.: +43 664 84 915 46
    E-Mail: julia.kernbichler@wien.gv.at