58. Wiener Gemeinderat (15)

Misstrauensantrag

GR Dipl.-Ing. Dr. Stefan Gara (NEOS) verglich die Debatte mit einer Therapiesitzung zwischen FPÖ und ÖVP. Vier Tage vor der Wahl werde schon eine Koalition zwischen Schwarz-Blau ausgelotet; das Problem sei, dass die ÖVP „Symptom und Ursache“ nicht unterscheiden könne. Wien werde bei der Zuwanderung allein gelassen, die anderen Bundesländer würden die Asylquoten nicht erfüllen. Er forderte eine Wohnsitzauflage für drei Jahre für anerkannte Flüchtlinge, dies lehne die ÖVP auf Bundesebene jedoch vehement ab. Im Gesundheitssystem könne die Opposition nicht unterscheiden, was Bundes- und Landeskompetenz sei - konkret wer für Kassen-Ärzt*innen oder Spitäler zuständig ist, so Gara. Auch im Gesundheitssystem sei Wien sehr gefordert, weil Wien viele Patient*innen aus den Bundesländern übernehmen würde und beim Finanzausgleich auch keine Reform geschafft worden sei, so Gara. „Wir schauen, was sind Ursachen und wie können wir das entsprechend lösen“, sagte der NEOS-Mandatar aus Sicht der Stadt-Regierungsparteien. „Wir werden dem Misstrauensantrag natürlich nicht zustimmen“, schloss Gara.

GR Dr. Markus Wölbitsch, MIM (ÖVP) wollte den Versuch wagen, das Thema Mindestsicherung „sachlich zu debattieren“. In der Öffentlichkeit hätte die Stadtregierung die Debatte bereits verloren, meinte Wölbitsch. Er ließ das Argument nicht gelten, dass wenn die Mindestsicherung an die Nachbarbundesländer angepasst werde, würde die Armut auf der Straße grassieren. Ebenso wolle er weitere „Mythen“ zur Mindestsicherung nicht gelten lassen, zum Beispiel, dass hohe Auszahlungssummen nur wenige Großfamilien betreffen würden; ebenso, dass ein Großteil der Mindestsicherung nur auf Einkommen aus Arbeit aufgezahlt. Er forderte eine „Gerechtigkeitsdebatte“ bei der Mindestsicherung. Das Geld für die Mindestsicherung werde nicht auf das Konto der Kinder gezahlt, sondern an die Erziehungsberechtigten. Es gelte also Haushaltseinkommen von Familien zu vergleichen, die einer Arbeit nachgehen und solchen, die Mindestsicherung bekommen. Es müsse immer attraktiver sein, einer Arbeit nachzugehen, als von einer Transferleistung zu leben - das sei fair gegenüber den Menschen, die in das Sozialsystem einzahlen würden, so Wölbitsch. Die ÖVP würde sich dazu bekennen, dass den Menschen geholfen werde, die in eine schwierige Situation gekommen sind; sie müssten aber selbst wieder Verantwortung für ihr Leben übernehmen, erklärte Wölbitsch die Überzeugung der ÖVP als christlich-soziale Partei. Solidarität sei keine Einbahnstraße: Diese beginne zu bröckeln, wenn Menschen den Eindruck hätten, dass sie Personen weiterhin mit ihrem Geld unterstützen, die sich eigentlich selber helfen könnten - dieser aus Sicht des ÖVP-Mandatars wachsender Eindruck in der Bevölkerung trage dazu bei, dass die extremen Ränder gestärkt würden, so Wölbitsch. Bei einem Medianeinkommen von etwas über 2.000 Euro sei es attraktiv, bei Bezügen bis zu 4.600 Euro in der Mindestsicherung zu bleiben, so Wölbitsch. „Wie kann das funktionieren, dass wir diese Menschen wieder - freiwillig - in die Arbeitswelt bringen?“, fragte Wölbitsch. Man könne den Mindestlohn anheben, was aber die Wirtschaft „zerstören“ würde, oder eben bei der Mindestsicherung ansetzten. Die SPÖ bzw. Sozialstadtrat Hacker würde nichts zur Lösung dieses Dilemmas beitragen, weshalb die ÖVP „zum stärksten Mittel des Missfallens“ greifen, dem Misstrauensantrag. Außerdem kritisierte Wölbitsch den Umgang des Stadtrats mit Anfragen der Opposition, die liegen bleiben würden; ebenso kritisierte der ÖVP-Gemeinderat den SPÖ-Stadtrat Hacker für die „zahlreichen Baustellen im Gesundheitsbereich“, die auch liegen geblieben seien. 

GRin Marina Hanke, BA (SPÖ) zitierte aus dem Misstrauensantrag, der die Mindestsicherungspolitik des Stadtrats als „größtes soziales Problem“ in der Stadt verortete. Hanke hingegen ortete soziale Probleme anderswo, wie sie betonte: Die Armutsgefährdung von Alleinerzieher*innen und ihren Kindern, die soziale und materielle Deprivation von allein lebenden Pensionist*innen sowie die generell niedrigen Löhne für Arbeitnehmer*innen. Sie erinnerte daran, dass sich ÖVP-Bundeskanzler gebrüstet hatten, in Zeiten steigender Inflation möglichst niedrige Lohnabschlüsse zu erreichen. Sie ließ den Vorwurf der „Leistungsfeindlichkeit“ nicht gelten. Es sei eine Verhöhnung für die Mindestsicherungsbezieher*innen, die mit der Sozialleistung auf den Lohn aufstocken würden, oder Menschen mit Behinderung die auf diese Transferleistung angewiesen seien. Wien sei bei den Auszahlungen der Mindestsicherung nicht weit weg von anderen Bundesländern; außerdem gebe es Sanktionen für Menschen, die bei Maßnahmen für den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt nicht mitwirkten, erinnerte Hanke. Die Mindestsicherung sei ein Sprungbrett zurück in die Arbeit, so die SPÖ-Gemeinderätin. Sie verwies auf die Angebote für junge Arbeitslose oder das College 25+ speziell für junge geflüchtete Menschen. „Wir wollen nicht, dass irgendein Kind in unserer Stadt nicht sorgenfrei aufwachsen kann“, sagte Hanke. Kinderarmut bedeute, „dass es Menschen gibt, die hoffen, dass vielleicht irgendwer im Umfeld oder im Second-Hand-Shop jetzt zum Start des Winters eine Jacke findet, die passt“, sagte Hanke. Sie verwehrte sich dagegen Kindern, „die eh schon nix haben, noch Geld wegzunehmen“. Sie kritisierte die schlechte Performance der Wirtschaftspartei ÖVP im Bund; Österreich sei geprägt von schwacher Konjunktur und steigender Inflation und Arbeitslosigkeit. Die im Bund ebenfalls groß gefeierte Patientenmilliarde sei ein „Marketinggag“ gewesen, der mehr gekostet als Einsparungen gebracht hätte, meinte Hanke in Richtung FPÖ.

GRin Mag. Caroline Hungerländer (ÖVP) konterte ihren Vorredner*innen: Die Aussagen zur Weitergabe von Kleidung an Geschwisterkinder seien „abgehoben“, es gehe nicht um warme Jacken zum Winterstart; auch hätten die Regierungsparteien nicht erklären können, welche Arbeitsanreize wirken könnten, bei Transferleistungen in der Höhe von 4.600 Euro. Auch hätte Wien lange ausgeschlossen, „dass jemand auch zu Integration gezwungen werden könnte“. Viele Mindestsicherungsbezieher*innen seien Menschen im arbeitsfähigen Alter, auf die ziele die Kritik der ÖVP ab, sagte Hungerländer. Stadtrat Hacker sei nicht nur für die Mindestsicherung, sondern auch für die städtischen Spitäler zuständig, diese litten weiter unter starken Personalmangel, der vom Stadtrat nicht angegangen worden sei. Wien könne die Migration und vor allem den Zuzug aus der Familienzusammenführung nicht mehr stemmen, das hätte auch Bildungsstadtrat Wiederkehr (NEOS) festgestellt, erinnerte Hungerländer. Dieser Hilferuf aus den eigenen Reihen werde von der Stadtregierung ignoriert. Für die Bevölkerung bedeute das längere Wartezeiten zum Beispiel im Spital oder beim Arzt, schließlich würde immer weniger Schüler*innen die Bildungsstandards erreichen oder in Containerklassen sitzen „oder dann gibt es halt eine Messerstecherei in Favoriten oder einen kleinen Bandenkrieg“, sagte Hungerländer. Die Stadtregierung hätte schon länger bei der Migration „die Stopptaste drücken müssen“, forderte Hungerländer, die hohe Mindestsicherung sei ein bedeutender „Pull-Faktor“ für den Zuzug, die „Binnenmigration ist real.“ Die Stadtregierung hätte Änderungsvorschläge eingebracht und sich „wirklich ernsthaft mit den Problemen beschäftigt“ und nur „Spott und Hohn“ erhalten. Das sei nicht nur schlechter Stil, sondern auch undemokratisch, warf Hungerländer Stadtrat Hacker vor. Die Sozialpolitik der Stadt würde das Sozialgefüge ins Wanken bringen und das Sozialsystem bedrohen, so das Fazit von Hungerländer.

StR Dominik Nepp, MA (FPÖ) meldete sich erneut zu Wort. Er kritisierte die Ungleichheit zwischen einer arbeitenden Alleinerzieherin und einer syrischen oder afghanischen Mindestsicherungsempfängerin. Letztere würde 300 Euro pro Kind bekommen, die erwerbstätige Mutter nichts, sagte Nepp. Die Mindestsicherung sei „für gewisse Zuwanderergruppen ein Geschäftsmodell“, behauptete Nepp. Er berichtete von Asylberechtigten, die dank Familienzuzug bis zu 4.000 Euro durch die Mindestsicherung bekommen würde. Das sei nicht fair, betonte Nepp.

Abstimmung: Der von ÖVP und FPÖ eingebrachte Misstrauensantrag gegen den amtsführenden Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport Peter Hacker (SPÖ) erhielt nur die Stimmen der beiden einbringenden Fraktionen und damit keine ausreichende Mehrheit. Ein weiterer Antrag der ÖVP zur Reform der bedarfsorientierten Mindestsicherung in Wien erhielt keine erforderliche Mehrheit. 

Der öffentliche Teil der 58. Sitzung des Wiener Gemeinderates endete um 23.48 Uhr. 

Service

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