Kulturstadträtin zur Debatte um Sobieski-Denkmal: Keine Bühne für Spaltung der Gesellschaft

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Denkmal für Entsatzschlacht von 1683 muss ein Zeichen für Frieden und Völkerverständigung sein, das Siegesrhetorik ablehnt. Wien hat würdiges Erinnerungszeichen bereits errichtet.

Wien - An die Osmanen erinnern in Wien beinahe 200 Denkmäler. Und an kein anderes historisches Ereignis wird im Wiener Stadtbild öfter erinnert als an die Zweite Osmanische Belagerung 1683. Bereits um 1700 entstanden die ersten Denkmäler, aber die Rufe nach neuen Zeichen der Erinnerung, insbesondere für jenen Ort, von dem aus die Entsatzschlacht ihren Anfang genommen hatte, verstummen nicht. Besonders laut ist die Forderung, das bestehende Gedenken am Kahlenberg zu erweitern: Neben einer Reihe anderer Erinnerungszeichen erinnert ebendort auch ein monumentaler Granitstein an den polnischen König Sobieski und die Ereignisse von 1683. Die Stadt Wien hat also ein würdiges Denkmal geschaffen, dessen Ausgestaltung bereits mit der im September 2018 in Granit geschnittenen, Frieden und Völkerverständigung betonenden Inschrift in deutscher, englischer und polnischer Sprache abgeschlossen wurde. 

Veronica Kaup-Hasler, amtsführende Stadträtin für Kultur und Wissenschaft: 
„‘In der kulturellen Überlieferung wird eine Gesellschaft sichtbar: für sich und andere‘, stellte der heuer verstorbene Kulturwissenschafter Jan Assmann, der ebenso wie Aleida Assmann die Gedächtnisforschung wesentlich angestoßen hat, fest. Es wird oft übersehen, dass ein heute errichtetes Denkmal so viel mehr erzählt über die gesellschaftlichen Werte zur Zeit seiner Errichtung und das Verhältnis der Erbauer*innen zur erinnerten Vergangenheit.  Aus dieser Verantwortung heraus folge ich in meiner Politik in Denkmalfragen stets dem Grundsatz, Debatten und Argumente genau zu prüfen und mithilfe der Wissenschaft eine Basis für informierte politische Entscheidungen zu erlangen. Auch die Frage des Sobieski-Denkmals wurde profunde, wissenschaftlich begleitet und vor den Hintergrund anderer Denkmaldiskurse reflektiert. Die Stadt Wien wird daher, diesen Erkenntnissen folgend, keine Bühne errichten, die für ausländerfeindliche Hetze und das Schüren von islamfeindlichen und antitürkischer Ressentiments instrumentalisiert werden kann.“

Vorgeschichte

Die Erinnerung an Jan III. Sobieski in Wien

Das Sobieski-Gedenken in Wien ist umfangreich. Am Kahlenberg erinnern neben dem erwähnten Denkmal etwa die Sobieski-Kapelle in der St. Josefskirche, drei Gedenktafeln - an und in der Kirche - sowie ein Gedenkstein an die Person des polnischen Königs.  Auch das Schwechater Kugelkreuz, eine Gedenktafel an der Augustinerkirche, die Sobieskigasse und der Sobieskiplatz sind der Erinnerung an den Oberbefehlshaber über das Entsatzheer gewidmet. Das Türkenbefreiungsdenkmal im Stephansdom hingegen wurde in einer Bombennacht 1945 durch die herabfallende Pummerin beschädigt, ein Teil davon wurde wiederhergestellt, die Darstellung Sobieskis fehlt allerdings seither.

Wissenschaftliche Studie „Der Entsatz von Wien“

Im Zuge der Debatte um die Errichtung eines weiteren Sobieski-Denkmals am Wiener Kahlenberg hat die Stadt Wien eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas in Auftrag gegeben (Johannes Feichtinger, Johann Heiss, Bogusl̸aw Dybaś: „Der Entsatz von Wien. Historiographie und kulturelles Gedächtnis von 1683 bis in die Gegenwart, Wien 2019 [Stadt Wien, unveröff. Forschungsbericht]). Das Ergebnis der 2019 fertiggestellten wissenschaftlichen Arbeit der österreichisch-polnischen Expert*innengruppe war die dringende Empfehlung, von jeglicher Form eines heroisierenden Denkmals Abstand zu nehmen. Heute würde die Errichtung eines Heldendenkmals, wie sie für das ausgehende 19. Jahrhundert üblich war, so Heidemarie Uhl (1956­ - 2023) und Johannes Feichtinger in ihrer Empfehlung, „als Anachronismus auf Kritik stoßen, auch dahingehend, dass ein Denkmal dieser Art mit einem vereinten Europa, das sich als Friedensprojekt versteht, schwer zu vereinbaren wäre.“ 

Das Gedenken an die Entsatzschlacht sei vielmehr von Beginn an für die Konstruktion von Feindbildern genutzt worden. Eine Erweiterung des Denkmals würde laut Einschätzung der Wissenschafter*innen zu einer Zunahme rechtsextremer Aufmärsche rund um den Gedenktag am 12. September führen. Es sei zu befürchten, dass das Denkmal zu einer Kultstätte werde, die für ausländerfeindliche Hetze missbraucht werden könnte. Die identitäre Plattform „Gedenken 1683“ nutze den Kahlenberg, so Johannes Feichtinger in der Studie, seit 2017 als Ort rechtsextremer Geschichtspolitik, die ausländerfeindliche, antitürkische und islamophobe Ressentiments verstärkt. Die Entsatzschlacht 1683 würde zum Krieg zwischen christlicher und muslimischer Zivilisation verklärt, statt den wissenschaftlichen Fakten folgend, anzuerkennen, dass hier zwei starke europäische Mächte um Herrschaft und Einfluss kämpften. 

Die Empfehlung der Expert*innen lautete hingegen, ein „Friedens- und Allianzdenkmal“ als Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung zu setzen, um die Leistungen Sobieskis und des polnisch-litauischen Heeres zu würdigen und an die geschlossenen Allianzen und die erfahrene Solidarität zu erinnern. Das ist ebenso in der Kontinuität des Jubiläumsjahr 1983 lesbar: Auch dieses stand im Zeichen der Versöhnung und des Ausgleichs sowie vertiefter wissenschaftlicher und kultureller Kontakte zwischen Polen, Österreich - und der Türkei. Bei den Feierlichkeiten spielten daher sowohl polnische Musikkapellen, als auch türkische.

Im Nachgang der Studie

Die Fertigstellung der Studie fiel exakt mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie zusammen und stoppte weitere Überlegungen zum Denkmal. Beinahe gleichzeitig entbrannte im Frühjahr 2020, ausgelöst durch die Black-Lives-Matter-Bewegung, eine hochbrisante weltweite Debatte um Gedenken und Denkmäler im öffentlichen Raum, die bis heute - auch in Wien - fortgeführt wird. Die Diskussion und kritische Auseinandersetzung einer Gesellschaft mit historischen Denkmälern ist Teil einer lebendigen, sich in Bezug setzenden Erinnerungskultur und zeigt, wie wichtig es ist, Historie aus der Perspektive der Gegenwart zu befragen. 

Gerade der lange öffentliche Diskurs zum Lueger-Gedenken und zur Kontextualisierung seines Denkmals hat Folgendes verdeutlicht: Die im Nachgang der wissenschaftlichen Arbeit entstandene Verständigung auf ein stilles Gedenkzeichen und einen Text in drei Sprachen hat sich für die Stadt Wien 2018 mit der Gravur des am Kahlenberg gesetzten Granit bereits als würdiges Denkmal vollendet. Die Stadt Wien steht als Menschenrechtsstadt für ein friedvolles Miteinander und entschließt sich daher, keine neue Anlaufstelle für Zwist und Spaltung der Gesellschaft zu schaffen. 

Weitere Informationen:

Türkengedächtnis

Forschungsprojekt der ÖAW über die Denkmäler, die an die Osmanen erinnern: https://www.oeaw.ac.at/tuerkengedaechtnis

Wortlaut der Gravur am Kahlenberg 

„Die Schlacht am Kahlenberg am 12. September 1683 bildete den Kulminations- und Wendepunkt eines Ringens zweier Imperien, jenes der nach Westen expandierenden Osmanen und jenes der in die Defensive gedrängten Habsburger. Dank eines europäischen Verteidigungsbündnisses zum Schutz von Krakau und Wien, an dem sich der König Polens Jan III. Sobieski in führender Weise beteiligte, gelang der Entsatz der Stadt. Mehr als 50.000 Menschen aus vielen verschiedenen Ländern verloren in diesen Kämpfen um Wien ihr Leben. Möge dieses Ereignis in Erinnerung bleiben, um an ein friedliches Zusammenleben der Menschen in Europa zu gemahnen!“ (In gleicher Größe ist eine Übersetzung in Polnisch und Englisch zu lesen.)

Bildmaterial:

https://presse.wien.gv.at/bilder
Credit: Stadt Wien / Bubu Dujmic

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