So funktioniert Contact Tracing in Wien

Contact Tracing bedeutet das Nachverfolgen von Infektionsketten. Wird eine Person positiv getestet, muss sie in Quarantäne. Abhängig vom Zeitpunkt der Infektion stecken Infizierte je nach Corona-Mutation statistisch gesehen bis zu 1,3 Menschen mit dem Virus an – deshalb ist es wichtig, ihre Kontakte nachzuverfolgen. Mit wem war eine positiv getestete Person in Kontakt, wo könnte sie sich angesteckt haben und wen könnte sie selbst angesteckt haben? Außerdem gibt es immer häufiger Personen, die symptomlos sind und nicht merken, dass sie den Virus verbreiten. Neben konsequentem Abstand halten, Maske tragen und Testen ist in diesen Fällen Contact Tracing besonders wichtig, um Infektionsketten zu durchbrechen.

750 Virus-Detektive

Die Rückverfolgung von Infektionsketten ist die Aufgabe der inzwischen 750 Contact-Tracerinnen und Contact-Tracer der Gruppe Sofortmaßnahmen und des Arbeiter Samariterbundes (ASB). Sie kontaktieren positiv getestete Personen, gehen einen definierten Fragebogen durch und erheben die direkten Verläufe. Mit wem war eine Person in Kontakt, wie hat der Kontakt stattgefunden? Wie lange waren Personen gemeinsam in einem Raum? Wurden Masken getragen? Zwischen 30 und 50 Anrufe pro Person kommen dabei zusammen.

Zu Beginn der Pandemie waren anfänglich 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Contact Tracer im Einsatz. Mit den steigenden Fallzahlen im Verlauf der Pandemie ist die Zahl auf 750 angestiegen. Sie decken mittlerweile 25 Muttersprachen ab. Täglich werden von den Wiener Contact Tracerinnen und Contact Tracern rund 2.500 Personen kontaktiert und gegebenenfalls behördlich abgesondert. Ebenso werden mehr als 1.000 E-Mails pro Tag bearbeitet.

96 Stunden in die Vergangenheit

Mit der sogenannten Briten-Mutation B1.1.7. und anderen Virus-Varianten ist die Arbeit der Contact Tracer herausfordernder geworden. Wurden anfangs bis zu 48 Stunden vor einer bestätigten Infektion aufgerollt, schauen die Virus-Detektive jetzt 96 Stunden in die Vergangenheit. Gesucht wird der sogenannte Indexfall – also jene Person, bei der sich jemand angesteckt hat. Desto ansteckender eine Virus-Variante ist, desto wahrscheinlicher sind Ansteckungen und desto mehr Infektionsketten können die Virus-Detektive unterbrechen. Der Einsatz zahlt sich aus: Wien hat im Bundesländer-Vergleich die höchste Aufklärungsquote bei Infektionen und bei Clustern.

Gepflegte Wortwahl, Aufgeschlossenheit, Computer- und Telefonkenntnisse, Fremdsprachen, schnelle Auffassungsgabe sind beim Job der Contact Tracings gefragt. Um Infektionsketten genau nachzeichnen zu können, müssen Kontakte und besuchte Orte genau hinterfragt werden, dafür braucht es neben einem gewissen Fingerspitzengefühl auch eine schnelle Kombinationsgabe. Manchmal geht es auch darum, Menschen etwas aus der Reserve zu locken, um den Indexfall zu finden, bei dem sie sich infiziert haben. Jedenfalls sind die Contact Tracerinnen und Tracer auf zwei Dinge angewiesen: Kooperation und Ehrlichkeit des Gegenübers. Ohne wahrheitsgetreue Angaben, mit wem Personen Kontakt hatten, können mögliche weitere Infizierte nicht ausfindig gemacht werden – und Infektionsketten des Virus nicht unterbrochen werden.

  • Wiens oberster Contact-Tracer, Walter Hillerer, der die Gruppe Sofortmaßnahmen leitet, erklärt im Interview in der Spalte rechts, wie das Contact-Tracing-Team arbeitet und worauf es dabei ankommt.

  • Welchen Beitrag das Contact Tracing aus epidemiologischer Sicht beiträgt und was Wien besonders gut macht, lesen Sie im Interview in der Spalte rechts mit der stellvertretenden Dienststellenleiterin des Gesundheitsdiensts der Stadt Wien (MA 15), Ursula Karnthaler. Die Ärztin ist Projektleiterin für medizinische Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus.

Spezialistinnen und Spezialisten für Schulen, internationales Contact-Tracing

Neben den „regulären“ Contact Tracerinnen und Tracern gibt es auch spezielle Teams, die sich mit Bildungseinrichtungen oder dem internationalen Contact-Tracing beschäftigen. In Schulen oder Einrichtungen gibt es häufig nicht nur einen isolierten Fall einer Infketion, sondern gleich mehrere Fälle. Um herauszufinden, wie der Cluster zusammenhängt und wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich mehrere Personen infizieren, kommen auch mobile Erhebungsteams zum Einsatz. Wo eine Abklärung über das Telefon nicht möglich ist, oder bei besonders kniffligen Fällen, schauen sich die mobilen Teams die Gegebenheiten vor Ort an. Sie gehen der Frage auf den Grund, warum es einen Cluster in einer bestimmten Schule oder Einrichtung gibt und in anderen nicht – und spielen ihre Erkenntnisse an die städtische Gesundheitsbehörde zurück, die dann wiederum Lösungsvorschläge machen kann.

Digitalisierung und Daten im Kampf gegen das Virus

Alle Erkenntnisse der Contact TracerInnen werden in eine eigene Software eingespielt und an den Gesundheitstdienst der Stadt Wien (MA 15) weitergegeben. Im Cluster Monitoring der MA 15 im Datenkompetenzzentrum werden die Daten ausgewertet und Verbindungen zwischen einzelnen Infektionsfällen ausgemacht und die Infektionskette zwischen einzelnen Fällen dargestellt. In einer Millionenstadt keine Kleinigkeit: Um die großen Datenmengen zu bewältigen, kommen technische Lösungen zum Einsatz. Seit letztem Herbst ist ein Software Tool im Einsatz, das mit der Firma „Upstream Mobility“ entwickelt wurde.

Die Software von Upstream Mobility kann über mehrere Algorithmen die Informationen, die vom Contact Tracing-Team in das System 'EpiSYS' eingespielt werden, in einem Datenabzug vergleichen. Auf Basis dieser Auswertungen werden die Berichte an den medizinischen Krisenstab der Stadt Wien gemacht. Auf Basis dieser Daten wird auch die Corona-Ampelkommission des Bundes zur Aufklärungsrate in Wien informiert.

Eine Infografik zum Contact Tracing

Grafik Contact Tracing in Zahlen - Download (PNG 383.0 KB) - PID

Aufklärungs-Quote Contact Tracing - Download (PDF 56.0 KB)

Mehr als 700 MitarbeiterInnen arbeiten beim Contact Tracing der Stadt Wien. (Download (JPG 128 KB) - PID/Jobst

Eine grafische Darstellung eines Corona-Clusters in der Software von Upstream Mobility.

Eine grafische Darstellung eines Beispiel-Clusters im von der Stadt Wien verwendeten Contact-Tracing-Tool von Upstream Mobility. Hier gibt es eine interaktive Version.

Im Stadt Wien Podcast sprechen Expertinnen und Experten über das Eindämmen des Corona-Virus. Auch das Contact Tracing wird in dieser Episode ausführlich behandelt.

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Interview mit Ursula Karnthaler

Ursula Karnthaler

Dr.in Ursula Karnthaler ist stellvertretende Dienststellenleiterin der MA 15 - Gesundheitsdienst, und ist Projektleiterin für medizinische Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus.

Frage: Wie hilft Contact Tracing gegen die Ausbreitung des Virus?

Durch die Nachverfolgung und Absonderung von engen Kontaktpersonen von COVID-Erkrankten, können diese im Idealfall von anderen Personen ferngehalten werden, bevor sie selbst ansteckend werden und die Infektion wiederum an andere Personen weitergeben.

Frage: Worauf kommt es bei erfolgreichen Contact Tracing an?

Es kommt darauf an, dass sich symptomatische Personen rasch testen lassen und beim Testen auch ihre Telefonnummer angeben, damit sie im Falle eines positiven Befunds rasch kontaktiert werden können. Weiters ist es wichtig, dass das Labor rasch meldet, damit das Contact Tracing schnell eingeleitet werden kann. Wichtig ist es auch sich genau zu überlegen, mit wem man bis zu 2 Tage vor Symptombeginn nahen Kontakt hatte, damit alle relevanten Personen an das Contact-Tracing Team weitergegeben werden und rasch verständigt werden können. Und ganz wichtig ist es natürlich, dass alle - Erkrankte wie Kontaktpersonen - die Quarantäne strikt einhalten und auch innerhalb des Haushalts ungeschützte Kontakte (ohne Verwendung einer FFP2-Maske) vermeiden.

Frage: Wie würde die Situation ohne Contact Tracing ausschauen?

Jeder müsste selbst seine Kontakte informieren und müsste dazu selbst herausfinden, welche Kontakte hier überhaupt von Bedeutung waren. Die nahen und damit wahrscheinlich schon angesteckten Kontaktpersonen hätten nicht die Sicherheit auf behördliche Anordnung zuhause bleiben zu können. Sie selbst oder ihr Dienstgeber hätten keine Möglichkeit den Verdienstentgang geltend zu machen https://www.wien.gv.at/amtshelfer/wirtschaft/gewerbe/laufend/betriebsfuehrung/verguetung/epidemie.html .  

Frage: Für wen ist Wien Vorbild, wo können wir uns in Sachen Contact Tracing noch was abschauen?

Wien ist sicher ein Vorbild, was die niederschwelligen Testmöglichkeiten angeht. Für Personen, die Sorge haben sich angesteckt zu haben oder bereits  Symptome haben stehen die Checkboxen, die Teststraßen, „Alles gurgelt“ und das mobile Homesampling, wenn man krankheitsbedingt das Haus nicht verlassen kann, zur Verfügung. Wien hat auch ein sehr großes Contact Tracing Team von mehreren hundert MitarbeiterInnen aufgebaut und entsprechende technische Unterstützungstools implementiert, um auch bei einer großen Fallzahlen die Erhebungen rasch und effizient durchführen zu können.