Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

August

Mittwoch, 1. August 1945

In Wien hat die Initiative "Jugend am Werk" ihre Tätigkeit aufgenommen. In niederösterreichischen Gemeinden befinden sich 13 Wiener Gruppen im Ernteeinsatz. Ferner sind Jugendliche in Schönbrunn und im Theresienpark in Meidling mit Aufräumearbeiten beschäftigt. Nach einem Bericht des "Neuen Österreich" wird erwogen, Lehrlinge während ihrer Ausbildungszeit vier Wochen in der Landwirtschaft einzusetzen und für alle 14- bis 21jährigen eine Arbeitspflicht einzuführen. Wegen Transportschwierigkeiten werden in dieser Woche Hülsenfrüchte an Stelle von Fleisch ausgegeben. Im "Neuen Österreich" wird darauf hingewiesen, dass Berufstätige kaum einkaufen können, weil alle Geschäfte außer den Lebensmittelläden lediglich von 9 bis 14 Uhr geöffnet sind. Die Direktion der Städtischen Bestattung ruft auf, Wahrnehmungen über den Verbleib von Leichenwagen zu melden. Die Ravag verlängert die Grußsendung zur Kontaktaufnahme zwischen getrennten Familienmitgliedern von Mitternacht bis ein Uhr früh. In einem Inserat wird der Ankauf von "Obstkernen aller Art von 3 kg aufwärts" offeriert.

Donnerstag, 2. August 1945

Die Dreimächtekonferenz in Potsdam wird abgeschlossen. Über ihre Resultate wird im "Neuen Österreich" am 4. August unter dem Titel "Das Ergebnis von Potsdam" umfassend berichtet. Der dazugehörige Leitartikel steht unter der Überschrift "Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit". Zu Österreich heißt es in dem Bericht wörtlich: "In der Angelegenheit Österreich beschlossen die drei Regierungen, den russischen Vorschlag zu erwägen, demzufolge der Geltungsbereich der provisorischen österreichischen Regierung auf ganz Österreich ausgedehnt wird, aber erst nachdem die amerikanischen und britischen Truppen in Wien eingelangt sind." Aus London wird gemeldet: "Riesenluftflotte gegen Japan bereitgestellt".

Freitag, 3. August 1945

Das "Neue Österreich" kündigt an, dass die Regierung eine Ablieferungspflicht für Brotgetreide, Hülsenfrüchte, Erdäpfel und Ölsaaten einführen will. Eine große Zahl von Wiener Kindern befindet sich auf Grund von Verschickungsaktionen in den letzten Kriegsmonaten auf dem Land und hat die Verbindung zu ihren Eltern verloren. In einer Erklärung im "Neuen Österreich" kündigt das Wohlfahrtsamt der Gemeinde Wien an, dass ein Heimtransport von jenseits der Demarkationslinie auf breiter Basis vorbereitet wird. Bis dahin sei für beste Verpflegung der Kinder gesorgt. Wörtlich heißt es: "In erster Linie ist daran gedacht, die schulpflichtige Jugend vor Beginn des neuen Schuljahres zurückzubringen. ... Ein besonders dringendes Erfordernis zur raschesten Heimbringung ist nicht vorhanden, und es entspricht auch den Wünschen der Eltern, die bereits ein Lebenszeichen erhalten haben, ihre Kinder noch in der guten Luft zu belassen." "36 neue Filme in den Wiener Kinos" werden angekündigt. Darunter befinden sich neun Produktionen der Wien-Film, neun andere deutschsprachige Streifen und 18 sowjetische Filme. Da die Raparatur der Ölmühle in den Schicht-Werken in Atzgersdorf geglückt ist und die Ernte von Ölsaaten bevorsteht, gibt es "Aussicht auf mehr Öl".

Samstag, 4. August 1945

Im Wiener Rathaus findet ein feierlicher Staatsakt statt, bei dem Staatskanzler Renner den Wiener Bürgermeister und die Vizebürgermeister angelobt. Anschließend nimmt Bürgermeister Körner die Angelobung der Stadtsenatsmitglieder und des Magistratsdirektors vor. Auf einer Parteikonferenz im Konzerthaus beschließt die KPÖ ein sogenanntes Sofortprogramm. Kernpunkt des Papiers ist laut Leitartikel von Ernst Fischer, der am Tag darauf im "Neuen Österreich" erscheint, "ein dauerhafter Volksblock als Fundament der Demokratie". Das "Neue Österreich" erläutert die "Schwierigkeiten der Kohlenversorgung". In den drei intakten niederösterreichischen Gruben werden 4.000 Tonnen gefördert. Der absolute Mindestbedarf in Wien und Niederösterreich beläuft sich jedoch auf 15.000 Tonnen. Der Abbau wird unter anderem durch die mangelhafte Ernährung der Kumpel beeinträchtigt. Nach der Ablösung der Roten Armee durch britische Besatzungstruppen in der Steiermark wurde die Lieferung von Fohnsdorfer Kohle nach Wien wieder eingestellt. Es besteht in jedem Fall die Notwendigkeit von Importen, die durch die Wertlosigkeit der Währung und den Mangel an Fertigerzeugnissen erschwert werden.

Sonntag, 5. August 1945

Es gibt drei neue Tageszeitungen, nämlich die Parteizeitungen "Arbeiter-Zeitung" (SPÖ), "Kleines Volksblatt" (ÖVP) und "Volksstimme" (KPÖ). Der Preis für Tageszeitungen, bisher 10 Pfennig, wird einheitlich mit 20 Pfennig festgesetzt. Umfang und Auflage der Zeitungen müssen den jeweiligen Papierzuteilungen angepasst werden. Kulturstadtrat Matejka gibt bekannt, dass wegen schwindender Papiervorräte für Plakate, auf denen Veranstaltungen des Kultur- und Unterhaltungsbetriebs angekündigt werden, ein Höchstmaß von 30 mal 42 Zentimeter festgelegt werden musste. Das Gewerbeinspektorat hat angeordnet, dass bei Arbeiten an baufälligen Häusern zur Unfallverhütung Stahlhelme zu tragen sind. Das Referat "Öffentliche Uhren" der Gemeinde Wien kündigt an, dass die 46 Straßenkreuzungsuhren und 60 Uhren auf Amtshäusern, Schulen usw., die elektrisch betrieben werden, und die weiteren 120 Uhren an öffentlichen Gebäuden, die mit der Hand aufgezogen werden, schrittweise in Betrieb gehen. Das "Neue Österreich" meldet, der "Getreidedrusch hat begonnen - Rohöl treibt an", und schreibt: "Die Beschaffung der Druschkohle, die alljährlich in der Höhe von 1.000 Waggon benötigt wurde, ist bisher trotz der Bemühungen aller beteiligten Stellen nicht gelungen".

Montag, 6. August 1945

Die USA werfen über Hiroshima die erste Atombombe ab. Alle Gebäude außer dem Rathaus der Stadt werden zerstört, mehr als 120.000 Menschen sterben. - In Wien werden erstmals wieder Briefkästen entleert.

Dienstag, 7. August 1945

Das "Neue Österreich" hat noch keine Meldung über den A-Bomben-Abwurf erreicht. Das Blatt meldet: "Invasionsarmee gegen Japan bereit". Der Kabinettsrat beschließt "Zehn gesetzliche Feiertage" und erklärt in einer Resolution, "dass fremde Staatsangehörige im Zuge von Rückführungsaktionen aus sanitären und ernährungstechnischen Gründen keinesfalls in Österreich Aufenthalt nehmen dürfen, da hiedurch Gefahren für die Bevölkerung und die Besatzungstruppen entstehen könnten. Derartige Transporte werden vielmehr abzuleiten oder mit tunlichster Beschleunigung durchzuschleusen sein." Im Aufmacher des "Neuen Österreich" heißt es: "Der Kulturreferent des New Yorker Rundfunks widmet den Mitte August beginnenden Salzburger Festspielen eine ausführliche Betrachtung und bezeichnet diese als ein internationales Ereignis für alle Kunst- und Musikfreunde." Die Passage über Österreich in der Erklärung der Potsdamer Konferenz hat die provisorische Regierung veranlasst, die Landeshauptleute aufzufordern, "sich für eine in Wien abzuhaltende Beratung zur Durchführung der zukünftigen einheitlichen Verwaltung des ganzen Staatsgebietes bereitzuhalten". Ein Referent des Staatsamtes für soziale Verwaltung berichtet im "Neuen Österreich" über die "Säuberung der Sozialversicherungsinstitute" von Nazi-Anhängern. Ferner wird gemeldet: "Seys-Inquarts Villa wird Kinderheim" und "Besserung der Wasserversorgung Wiens". Allerdings müssen die Bezirke jenseits von Donaukanal und Donaustrom sowie der 3., 11. und 23. Bezirk im wesentlichen noch mit Grundwasser versorgt werden.

Mittwoch, 8. August 1945

In Wien herrscht materiell beengter Alltag. Das "Neue Österreich" meldet: "Wiederaufbau von Telephon und Telegraph", "Bessere Gemüseversorgung im Herbst", "Flüchtlingsrücktransport aus Oberösterreich", "Ausbau der Großküchenbetriebe". Im Landesgericht werden die Prozesse wieder nach dem bis 1938 gültigen österreichischen Recht geführt.

Donnerstag, 9. August 1945

Die USA werfen die zweite Atombombe über Nagasaki ab. Die Sowjetunion erklärt Japan den Krieg, um - wie es in der Begründung heißt - die Kriegshandlungen im Fernen Osten rasch zu beenden, nachdem Japan ein von den USA, Großbritannien und China in Potsdam formuliertes Ultimatum zur bedingungslosen Kapitulation abgelehnt hat. Das "Neue Österreich" berichtet unter dem Titel "Atombombe - eine Weltsensation" erstmals über den Kernwaffeneinsatz. Wörtlich heißt es: "Durch eine an die Weltöffentlichkeit gerichtete Mitteilung des Präsidenten Truman wird bekanntgegeben, dass es England und Amerika nach jahrelangen gemeinsamen Anstrengungen gelungen ist, das vielumstrittene Problem der 'Atombombe' nunmehr wirklich zu lösen, und dass die erste derartige Bombe auf den Militärstützpunkt Hiroshima auf Hondo abgeworfen worden ist."

In Moskau wird das "Abkommen der Alliierten über Österreich" veröffentlicht. Darin wird unter anderem die Einsetzung einer von den vier Mächten beschickten Kontrollkommission als oberster Instanz im Land und die Teilung Österreichs in den Grenzen von 1937 in vier Besatzungszonen festgelegt. Die sowjetische Zone besteht aus Niederösterreich, dem Mühlviertel und dem Burgenland, die Zone der USA aus Oberösterreich (ohne Mühlviertel) und Salzburg, die französische Zone aus Tirol und Vorarlberg und die britische Zone aus Kärnten samt Osttirol und der Steiermark. Wien wird folgendermaßen geteilt: Die Innere Stadt wird von den vier Mächten gemeinsam kontrolliert; den Sowjets unterstehen - der Bezirkseinteilung von 1937 entsprechend - der 2., 4., 10., 20. und 21. Bezirk, den USA der 7., 8., 9., 17., 18. und 19. Bezirk, Frankreich der 6., 14., 15. und 16. Bezirk sowie Penzing und Großbritannien der 3., 5., 11., 12. und 13. Bezirk (ohne Penzing). Hauptaufgaben der Alliierten Kontrollkommission sind Loslösung Österreichs von Deutschland, Schaffung eines österreichischen Verwaltungsapparats, Vorbereitung von Wahlen einer demokratischen österreichischen Regierung und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung bis zu diesem Zeitpunkt. Die Bevölkerung Wiens wird von Alltagssorgen erdrückt. Im "Neuen Österreich" heißt es unter anderem: "Spinnstoffe nur auf Säuglings- und Kleinkinderkarten", "Das Jugendgericht gesäubert", "Entfernung der Nazi von Wiener Märkten", "Straßenbahnverkehr durch Floridsdorf", "Fensterglas derzeit völlig vergriffen", "Wieder Hülsenfrüchte statt Fleisch". Einen Lichtblick gibt es im Sport: "Wacker beginnt wieder".

Freitag, 10. August 1945

Japan macht über Vermittlung Schwedens und der Schweiz ein erstes Kapitulationsangebot. Die Sowjetunion befindet sich in der Mandschurei und in Korea im Vormarsch. Das "Neue Österreich" meldet den zweiten Atombombenabwurf. Wörtlich heißt es: " Donnerstag mittags japanischer Zeit wurde die zweite Atombombe abgeworfen, und zwar auf die Hafenstadt Nagasaki. Ein Kommunique aus Guam meldet, es bestehe wenig Zweifel darüber, dass der Schaden in Nagasaki ebenso groß ist wie der von der ersten Atombombe in Hiroshima angerichtete Schaden... Der japanische Rundfunk berichtet, die zerstörende Kraft der Atombombe spotte jeder Beschreibung. Alle Menschen in Hiroshima, die sich im Freien befanden, sind verbrannt, und die in den Häusern befindlichen Personen kamen durch die Hitze und die zusammenstürzenden Trümmer ums Leben." Führende Wissenschaftler der USA, Großbritanniens und Frankreichs fordern eine Kontrollbehörde für den Atomwaffeneinsatz bei den Vereinten Nationen, "um die Menschheit vor der völligen Vernichtung zu bewahren". Der Wiener Stadtsenat - im Moment das einzige Beschlussgremium der Gemeinde - gibt sich eine Geschäftsordnung, die wöchentliche Sitzungen vorsieht. Der Zirkus Rebernigg eröffnet die Saison auf dem Matzleinsdorfer Platz.

Samstag, 11. August 1945

Im "Neuen Österreich" erscheint eine Glosse mit dem Titel "Das neue Telephonbuch". Darin heißt es: "Es ist etwas übertrieben, von einem neuen Telephonbuch zu sprechen, und fern von Selbstüberhebung nennt es sich auch selbst mit dem richtigen Namen: Verzeichnis der derzeit in Wien eingeschalteten Fernsprechstellen. Zwölf Seiten, ein paar hundert Telefonnummern -das ist alles." An anderer Stelle fragt das Blatt "Kommt der 'Fetzenklauber' wieder?" und meint: "Textilabfälle - ein wichtiger Rohstoff". Der Landwirtschaft wird die Ablieferung von rund 56.000 Tonnen Gerste auferlegt. Davon sollen 12.000 Tonnen zur Biererzeugung, 14.000 Tonnen zur Herstellung von Kaffee-Ersatz und 30.000 für die Produktion von Nährmittel dienen.

Sonntag, 12. August 1945

Die Alliierten nehmen die Kapitulation Japans vorläufig nur bedingt an. Die Kampfhandlungen im Pazifik werden fortgesetzt. In Salzburg werden die Festspiele eröffnet. Bis 1. September wird es sechs Aufführungen von Mozarts "Entführung aus dem Serail", fünf Orchester- und drei Kirchenkonzerte, fünf Serenaden und mehrere Solistenkonzerte geben. Aus Salzburg wird das Eintreffen von 2.000 Österreichern gemeldet, die in Norwegen in alliierte Kriegsgefangenschaft geraten sind. Das "Neue Österreich" veröffentlicht eine "Zweite Liste von auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigten Hingerichteten". Sie enthält 141 Namen, nachdem im Juni bereits 204 Namen von Naziopfern veröffentlicht wurden, deren Angehörige ebenfalls nicht über den Ort der Beerdigung informiert worden waren. Nach einer Mitteilung aus dem Rathaus ist ein wesentlicher Teil der Großschäden an den Wiener Gasleitungen bereits repariert. In einzelnen niederösterreichischen Gemeinden bürgern sich "Erntedankopfer" statt Erntedankfesten ein; sie werden nach dem Landeshauptmann auch "Figl-Spenden" genannt, stammen aus dem Eigenbedarf der Bauern und kommen vorwiegend Wiener Spitälern und der "Volkssolidarität" zugute.

Montag, 13. August 1945

Im französischen Sektor Wiens sollen laut Wohnungsamt "Angehörige der französischen Nation in Untermiete untergebracht werden. Das Wohnungsamt appelliert an die Bewohner dieser Bezirke, solche Quartiere zur Verfügung zu stellen. In Frage kommen getrennte Räume mit Schlafgelegenheit samt Bettwäsche." Das Patentamt hat wieder die Arbeit aufgenommen.

Dienstag, 14. August 1945

Japan kapituliert bedingungslos, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Der US-Staatssekretär Clayton erklärt in London, dass "England und Amerika von Österreich keine Reparationen verlangen". Für das Mühlviertel wird ein "Staatsbeauftragter" bestellt. Dazu erklärt Staatssekretär und Landeshauptmann Figl: "Niederösterreich vertritt den Standpunkt, dass an der Einheit Oberösterreichs nicht gerüttelt werden darf, .. Es ist mir gelungen, diesen Standpunkt auch in der Regierung durchzusetzen, und so wurde nun für die Verwaltung Oberösterreichs links der Donau (des Mühlviertels) ein eigener Staatsbeauftragter ... eingesetzt, der seine Aufgabe wohl mit den Befugnissen eines Landeshauptmannes, jedoch im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich durchzuführen hat". In einer Versammlung fordern die Wiener Siemens-Arbeiter die Verstaatlichung des Unternehmens.

Mittwoch, 15. August 1945

Um 1 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit wird in London der Wortlaut der bedingungslosen Kapitulation Japans bekanntgegeben. Premierminister Attlee sagt im Rundfunk: "Japan hat kapituliert. Der letzte Feind Englands liegt auf dem Boden." Im Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts in Wien beginnt der erste Prozess vor einem Volksgericht. Vier SA-Männer sind angeklagt, 102 Juden umgebracht zu haben. Bürgermeister Körner schlägt im Stadtsenat vor, eine Initiative zur "Gemeinschaftsarbeit aller Wiener" zu ergreifen. Sie soll zur raschen Beseitigung von Müll und Schutt auf den Straßen der Stadt beitragen. In einer Vorschau auf die "Wiener Ernährung in den kommenden Wochen" berichet das "Neue Österreich", dass es bei den neuen Brotkarten statt bisher fünf nur mehr drei Stufen geben wird. Kinder und nicht berufstätige Verbraucher werden die gleiche Ration wie Angestellte bekommen. Das "Amtsblatt der Stadt Wien" erscheint wieder. Das Radio bringt eine Sensation: Von den Salzburger Festspielen wird "Entführung aus dem Serail" übertragen. Es ist die erste Gemeinschaftssendung aller österreichischen Stationen - und für lange Zeit auch die letzte.

Donnerstag, 16. August 1945

Staatssekretär Honner wird vom Oberkommando der Roten Armee mitgeteilt, dass die Sowjetunion bereit ist, österreichische Kriegsgefangene freizulassen, die sich in Frontlagern in Österreich, der Tschechoslowakei und Ungarn befinden, sofern es sich um keine Angehörigen von SS, SA oder SD handelt. Aus der Welt des Sports wird gemeldet: "Unsere Mannschaften sind aufgestellt". Gemeint ist das erste Fußballänderspiel nach dem Krieg gegen Ungarn in Budapest sowie ein Städtevergleichskampf gegen Budapest in Wien. In Wien und in Zürich werden Vereine zur Pflege der Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz gegründet, außerdem in Wien ein Verein für die Beziehungen zu Jugoslawien.

Freitag, 17. August 1945

US-Staatssekretär Clayton beantragt in einer Sitzung der Hilfsorganisation der Vereinten Nationen, UNRRA, dass auch Italien und Österreich unterstützt werden. Wörtlich sagt er: "Nur wenn die UNRRA hilft, kann Österreich wieder seinen Platz unter den friedliebenden Völkern finden. Der Bedarf Österreichs ist nicht so groß, dass er die Vorräte der Vereinten Nationen schwächen würde. Österreich...wird, wenn es diesen Winter überdauert, zu neuem Wohlstand wieder aufblühen". Der Volksgerichtshof verhängt in seinem ersten Verfahren über drei der vier Angeklagten ("Neues Österreich": "Die Judenmörder von Engerau") Todesstrafen. Das Erscheinen der ersten österreichischen Wochenschau, der "Austria-Wochenschau", wird mit einer Uraufführung gefeiert. Fußballtormann Walter Zeman wechselt vom FC Wien zu Rapid.

Samstag, 18. August 1945

Das "Neue Österreich" berichtet, dass in Niederösterreich weitere Massaker an Juden aufgedeckt wurden. Als Tatorte werden Göstling, Randegg, Gresten und Scheibbs angeführt. In einem Bericht über die Lage des Eisenbahnverkehrs schreibt das Blatt: "Es ist bekannt, dass sich unsere Wiener Bahnhöfe seit langem für den immer stärker werdenden Verkehr als viel zu klein erwiesen haben. Auch ihre Lage erscheint in mancher Beziehung unvorteilhaft, so dass der Wunsch nach einem modernen Zentralbahnhof in Wien immer dringlicher erhoben wurde." Beim Wiederaufbau biete sich die Chance, dieses Ziel zu verwirklichen. Der Polizeipräsident appelliert angesichts des steigenden Verkehrs an die Fußgänger, "die Gehwege zu benützen und die Straßen mit der nötigen Vorsicht und ohne Aufenthalt zu überqueren". Die Linie 59 wird von der Dommayergasse in Hietzing bis zur Kaiserstraße und die Linie 71 vom Betriebsbahnhof Simmering über die Landstraßer Hauptstraße bis zur Stadtbahnstation Stadtpark geführt.

Sonntag, 19. August 1945

Unter Beteiligung von Vertretern der alliierten Truppen und der provisorischen Regierung sowie zehntausender Zuschauer wird das sowjetische Heldendenkmal am Schwarzenbergplatz enthüllt. Sprecher aller drei demokratischer Parteien Österreichs würdigen die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Wien und Österreich. Bürgermeister Körner übernimmt die Betreuung des Denkmals in die Verantwortung der Gemeindeverwaltung. Bei der Errichtung des Denkmals nach Plänen sowjetischer Künstler waren bis zu 400 Arbeiter im Einsatz. Es wurden unter anderem für für die elfeinhalb Meter hohe Soldatenfigur 15 Tonnen Bronze und 300 Quadratmeter Marmorplatten verarbeitet und 500 Kubikmeter Erde bewegt. Österreich verliert das erste Länderspiel nach der Befreiung gegen Ungarn vor 50.000 Zuschauern in Budapest mit 0:2; die Wiener Stadtauswahl wird von Budapest vor 22.000 Zuschauern am Rapid-Platz mit 3:6 besiegt. Die Gästemannschaften wurden mit sowjetischen Militär-LKW zu den Spielen gebracht. Dem österreichischen Team wurde später der Schmuggel von Lebensmitteln und Zigaretten vorgeworfen.

Montag, 20. August 1945

Im Gemeinderatssaal tritt unter dem Vorsitz von Bürgermeister Körner die beratende Körperschaft zusammen, die von der Gemeindeverwaltung einberufen wurde, um eine Generaldebatte über die vom Stadtsenat für September beschlossene Gemeinschaftsarbeit abzuhalten. Dabei werden erste Richtlinien für Art der Arbeiten und Zusammensetzung der Arbeitskräfte entwickelt. Vom Wagenpark der Wiener Feuerwehr, der auf Befehl der SS während der letzten Kriegstage in den Westen verlagert wurde, konnten mit Hilfe der amerikanischen und sowjetischen Militärbehörden 50 Fahrzeuge nach Wien zurückgeholt werden. Die Wiener Friseurinnung veröffentlicht folgende Mitteilung: "Aus technischen Gründen ist es nicht möglich, die Friseurgeschäfte mit dem entsprechenden Quantum an Rasierseife zu versorgen. Deshalb ergeht an das männliche Publikum die Bitte, ihre (sic!) eigene Rasierseife mitzubringen."

Dienstag, 21. August 1945

Das "Neue Österreich" meldet: "Vor dem Einmarsch in Japan", "USA stellen auf Friedensproduktion um", "Die Demobilisierung in Amerika". Noch für den laufenden Monat wird der Beginn von weiteren sechs Prozessen vor dem Volksgericht erwartet. Unter anderen soll ein "Träger 'goldener Ehrenzeichen' als Kriegsverbrecher angeklagt" werden. Zur "Umschreibung der Führerscheine" teilt die Polizeidirektion mit: "Umgetauscht werden derzeit nur solche Führerscheine von Auto- und Motorradbesitzern, deren Fahrzeuge nachweisbar derzeit zum Verkehr zugelassen sind, und zwar unter gleichzeitiger Vorlage des neuen Wagenpasses und eines entsprechenden Personaldokuments." Gewarnt wird vor dem Ankauf von Pfandscheinen, weil das Dorotheum für Pfänder nicht haftet, die durch höhere Gewalt wie Kriegsschäden vernichtet wurden.

Mittwoch, 22. August 1945

Das "Neue Österreich" berichtet: "Da für die nächsten Wochen vorläufig nur die Brotzuteilung sichergestellt ist und die Rationen für die übrigen Lebensmittel noch nicht bekannt sind, werden diesmal die Brotkarten und die Lebensmittelkarten voneinander getrennt ausgegeben." Die Stadtwerke werben mit einem "Merkblatt für Benützer elektrischer Kochplatten" fürs Stromsparen. In der Begründung für diesen Schritt heißt es, "werden die Hausvertrauensleute aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Kochplattenbenützung in ihren Häusern auf verschiedene Stunden aufgeteilt wird. Um das nötige Verständnis für diese Maßnahme zu wecken und gleichzeitig den Kochplattenbesitzern praktische Winke für die stromsparende Verwendung ihres Gerätes zu geben, wurde das Merkblatt zusammengestellt, das von den Kartenstellen zugleich mit den neuen Lebensmittelkarten für jedes Haus ausgefolgt wird." In London beschließt der Rat der UNRRA, Österreich und Italien in die internationale Hilfsaktion einzubeziehen. Das bedeutet vor allem die Lieferung von Lebensmitteln aus den USA.

Donnerstag, 23. August 1945

Anlässlich der Ankunft der Vorsitzenden der Alliierten Kontrollkommission in Wien findet eine Parade von Truppen der Verbündeten statt. Kommissionen, die aus österreichischen Ärzten und Staatspolizisten bestehen, reisen in sowjetische Kriegsgefangenenlager in Österreich, Tschechoslowakei und Ungarn, um an der Entlassung von Österreichern mitzuwirken. Zur Beseitigung der Kriegsschäden benötigt Wien allein rund 10 Millionen Quadratmeter Fensterglas. Wer 200 Kilogramm Glasscherben sammelt, bekommt einen Bezugsschein für einen Quadratmeter Fensterglas. Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit teilt mit: "Das Überschreiten der Demarkationslinie ist zur Zeit bis auf weiteres nur jenen Personen von den Besatzungsbehörden gestattet, die 1. in staatsbürgerlicher Beziehung vollkommen einwandfrei sind, 2. die Reise in einem dringenden staatlichen Interesse zu unternehmen haben. ... Ansuchen um Reisebescheinigungen für Privatzwecke müssen zur Zeit schon vom Polizeibezirkskommissariat zurückgewiesen werden." Im "Neuen Österreich" erscheint erstmals ein "Kleiner Anzeiger" mit den Rubriken "Stellen-Gesuche", "Stellen-Angebote" und "Verschiedenes". Unter "Verschiedenes" sind "Halbschuhe, fast neu, Größe 35, gegen elektrisches Bügeleisen zu tauschen. ..." Die alliierten Hochkommissare beschließen Maßnahmen zur besseren Versorgung Wiens mit Lebensmitteln.

Freitag, 24. August 1945

Die provisorische Regierung beschließt ein "Beamten-Überleitungsgesetz". Es regelt insbesondere die Wiedereinstellung von Beamten, die in der Zeit von Austrofaschismus und Nationalsozialismus aus politischen Gründen den Dienst quittieren mussten. Bezugskürzungen und andere Repressalien werden ebenfalls aufgehoben. Entschädigungen für Einkommensausfälle sind nicht vorgesehen. Vor Vertrauensmännern der Eisenbahner kündigt die Generaldirektion der Staatsbahnen eine baldige Verbesserung der Verkehrsverhältnisse auf der Schiene an. Der Optimismus stützt sich u.a. auf die Möglichkeit, durch Reparaturen rasch mehr "rollendes Material" verfügbar zu machen. Die Nordwestbahnbrücke ist wieder benützbar. Die Wiederaufnahme der Schiffahrt zwischen Wien und Budapest steht bevor, nachdem die Donau auf dieser Strecke minenfrei gemacht wurde.

Samstag, 25. August 1945

Das Internationale Olympische Komitee hat die nächsten Olympischen Spiele für das Jahr 1948 angesetzt. Im "Neuen Österreich" erscheint ein Kommunique über das erste Treffen der vier Oberkommandierenden der Besatzungstruppen in Wien. Darin heißt es: "Im besonderen besprachen sie die künftigen Maßnahmen für die Ernährung der Wiener Bevölkerung....und sie kamen überein, dass als vorläufige Maßnahme bis zur Erfassung endgültiger Beschlüsse jede der vier Mächte ab 1. September gewisse Vorräte für die Stadt heranschaffen wird, und zwar im Verhältnis zur Bevölkerungszahl der von ihnen besetzten Zone." Bürgermeister Körner sagte in einer ersten Reaktion, er sei "von einer drückenden Sorge befreit". Die provisorische Regierung beschließt ein Verfassungsgesetz, das die Gemeinde Wien ermächtigt, eine Arbeitspflicht für Notstandsarbeiten zu verfügen. Betroffen davon sind männliche Personen zwischen 15 und 50 sowie weibliche Personen zwischen 16 und 40 Jahren. Für Nazi beträgt die Altersgrenze 65 bzw. 55 Jahre. Die Gaslieferzeiten im 3. und 11. Bezirk werden morgens und abends um eine halbe Stunde gekürzt. Die neuen Abgabezeiten lauten: Von 5.30 bis 7 Uhr, von 11 bis 13 Uhr und von 18.30 bis 20 Uhr.

Sonntag, 26. August 1945

Die Regierung erlässt "Strenge Maßnahmen gegen Schleichhandel". Ab sofort gibt es Kontrollen nach Lebensmitteln an den Einfahrtsstraßen nach Wien. Ziel der Aktion ist es, "gewissenlosen Elementen" entgegenzutreten, die die herrschende Lage "rücksichtslos dazu missbrauchen, sich durch Hamsterei und Schleichhandel auf Kosten der ehrlich arbeitenden Bevölkerung persönliche Vorteile zu verschaffen." Zu diesem Zweck werden ab sofort sämtliche Fahrzeuge bei der Einfahrt nach Wien kontrolliert, muss zweitens die Rechtmäßigkeit des Bezugs von mitgeführten Lebensmitteln nachgewiesen werden, wird drittens bei mangelndem Nachweis eine Anzeige verhängt oder die sofortige Einziehung verfügt und kann viertens die Fahrt auf das Land bei ungenügender Aufklärung von vornherein untersagt werden.

Montag, 27. August 1945

Staatssekretär Fischer erläutert im Staatsamt für Volksaufklärung, Unterricht und Erziehung die Grundzüge der "neuen österreichischen Schule". Er sagt wörtlich, dass "die gesellschaftliche Lage und die große Aufgabe einer demokratischen Erziehung eine weitgehende Vereinheitlichung unseres gesamten Schulwesens auf der Unter- und Mittelstufe (für die Sechs- bis Vierzehnjährigen) fordern, verbunden mit einer reichen Fächerung und Aufspaltung in der Oberstufe". Eine Enquete der Regierung beschließt "Sofortmaßnahmen zur Ernteaufbringung" wie vorläufige Teilablieferungen, Bezirkskommissionen zur Überprüfung der korrekten Erfassung sowie zentrale Registrierung und Lenkung von Straßenfahrzeugen. In Wien werden Vorkehrungen zur Betreuung heimkehrender Kriegsgefangener getroffen. In sechs Bahnhöfen wurden bereits Kommandostellen eingerichtet, die für die Verpflegung und Weiterleitung von heimkehrenden ehemaligen Wehrmachtssoldaten sorgen sollen. Die Nordwestbahn verkehrt wieder, und zwar werden zunächst Züge nach Stockerau, Retz und Gmünd geführt. Erstmals erscheint die Tageszeitung "Wiener Kurier", herausgegeben von der amerikanischen Besatzungsmacht.

Dienstag, 28. August 1945

Unter dem Titel "Wieder zwei Illegale vor Gericht" berichtet das "Neue Österreich" über Volksgerichts-Verfahren. In ihnen wurden zwei Männer, deren Hauptschuld darin bestand, zwischen Juli 1934 und März 1938 der (in Österreich verbotenen) Nazi-Partei beigetreten zu sein, zu 10 Jahren schweren Kerker verurteilt. Das Programm des Wiener Großreinemachens im September sieht in erster Linie die Säuberung der Durchzugsstraßen von Müll und Schutt vor.

Mittwoch, 29. August 1945

Zwischen Regensburg und Enns wird unter Oberaufsicht der amerikanischen Besatzungsmacht der Dampfschiffahrtsverkehr auf der Donau wieder aufgenommen. In Wien trifft die erste britische Lebensmittellieferung im Umfang von 450 Tonnen am Südbahnhof ein. Die Ausgabe von Speiseöl wird nach der Reparatur der Ölmühle in den Atzgersdorfer Schicht-Werken fortgesetzt. Ein Bahnsteig der Stadtbahnstation Schönbrunn ist wieder benützbar. Hans Moser befindet sich auf einem Abstecher in Wien. Nach einem Bericht des "Neuen Österreich" gehört er "seit einigen Wochen einem kleinen Ensemble von Wiener Künstlern an, das in englischer Sprache vor amerikanischen Besatzungstruppen spielt". Wegen der zahlreichen Gastspielverpflichtungen werde Moser erst in einigen Monaten endgültig nach Wien zurückkehren. Ein neues Gesetz regelt die Zuteilung von Papier an Verlage, Druckereien und andere papierverarbeitende Betriebe.

Donnerstag, 30. August 1945

Die ersten alliierten Truppen gehen in Japan an Land. Bei der Wiedereröffnung des Reifenwerks Traiskirchen (nach seiner Rückgabe durch die Rote Armee) sagt Staatssekretär Raab: "Fast scheint es, dass diejenigen, die trotz aller Sorgen heute in die Arbeit gehen, die Schlechtergestellten sind. Aber das wird nicht immer so bleiben, sie werden in Zukunft die Bevorzugten sein." Im "Neuen Österreich" wird die Frage erörtert: "Werden die Wiener im Winter Kohle haben?" Der Autor unterstreicht, dass es ohne Hausbrandkohle in Wien kein Überwintern geben kann. Besondere Hoffnungen werden auf die Lösung des Transportproblems mit Hilfe der Alliierten gesetzt. Paul Hörbiger tritt seit der Befreiung erstmals wieder vor die Kamera. Am Rosenhügel wirkt er an den Aufnahmen für zwei Kabarettfilme mit.

Freitag, 31. August 1945

US-Präsident Truman beziffert die Kriegskosten für sein Land auf 280 Milliarden Dollar. 15 Prozent davon entfallen auf Lieferungen nach dem sogenannten Pacht- und Leihgesetz an die Verbündeten. Zwei Schiffe mit einer Ladung von insgesamt 25.000 Fässern Pökelheringen und -makrelen für Europa verlassen den Hafen von Montreal. Das britische Hauptquartier wendet sich mit einer Botschaft an die Bevölkerung Wiens, in der auf die Bemühungen der Alliierten hingewiesen wird, die Ernährungsprobleme zu lösen. Wörtlich heißt es in der Erklärung: "Großbritannien kann seinen Beitrag zu dieser Hilfe nur durch eigene Opfer ermöglichen... Die englischen Rationen sind klein und seit Ende des Krieges nicht erhöht, sondern sogar noch weiter herabgesetzt worden. Ihr müsst damit rechnen, dass diese Hilfsaktion nicht unbedingt eine sofortige Erhöhung Eurer Rationen zur Folge haben wird." Es werde aber nach Mittel und Wegen gesucht, "um der Not und dem wachsenden Hunger abzuhelfen, von dem wir uns in Wien als bitterer Folge des Krieges umgeben sehen". Der Beginn der Gemeinschaftsarbeit zur Beseitung der Schuttmassen in Wien wird auf Montag, den 3. September, festgelegt. Zur Arbeit sind vor allem Nationalsozialisten, aber auch Schüler ab 14 Jahren und Studenten verpflichtet.