Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

Mai

Dienstag, 1. Mai 1945

Der "Tag der Arbeit" wird in Wien erstmals seit 1933 wieder gefeiert, allerdings nicht zentral, sondern in den Bezirken und gemeinsam von den drei Gründungsparteien der Zweiten Republik. Unter dem Eindruck der Aufmärsche und Feiern schreibt ein Mitarbeiter der "Österreichischen Zeitung" unter dem Titel "Frühling in Wien" ein Feuilleton: "Diese Stadt gleicht einer schönen Frau, die lange krank war, einer Heißgeliebten, deren Antlitz noch die Spuren des Leidens zeigt, die aber heute wieder lächelt." - Die Provisorische Stadtregierung setzt die Verfassung vom 1. Oktober 1920 in der Fassung von 1929 wieder in Kraft. Sie beschließt außerdem das Gesetz über das Verbot der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) und aller ihrer Gliederungen. Ein weiteres Gesetz bestimmt grundsätzlich die Rückgabe von gestohlenem ("arisiertem") jüdischem Eigentum. - Die Wiener Staatsoper eröffnet die neue Spielzeit in der Volksoper mit Mozarts "Figaros Hochzeit" mit Hilde Konetzni, Irmgard Seefried, Elisabeth Höngen, Dirigent Josef Krips, Regie Oscar Fritz Schuh. Operdirektor ist Alfred Jerger. Das Theater in der Josefstadt wird mit "Hofrat Geiger" wiedereröffnet. -Deutsche Artillerie beschießt von Bregenz aus die langsam vorrückenden französischen Truppen. Die Franzosen erwidern das Feuer und bombardieren Bregenz; es gibt erhebliche Schäden und mehrere Tote. Dann wird Bregenz besetzt. - Unter dem Titel "Regierung Renner in Wien gebildet - Wegbereiter zur bolschewistischen Herrschaft" melden die Zeitungen, die im noch NS-besetzten Teil Österreichs erscheinen: "Wie die TASS meldet, haben die Bolschewisten in Wien eine Regierung gebildet, an deren Spitze der 75jährige ehemalige Führer der Austromarxisten Dr. Karl Renner steht."

Mittwoch, 2. Mai 1945

In Westösterreich, Oberitalien und Berlin kapitulieren die deutschen Truppen. In Innsbruck übernimmt die Widerstandsbewegung 0 5 die Macht in der Stadt. In Wien meldet das "Neue Österreich" den Modus für die "Ausgabe von Lebensmitteln": "Die Maispende der Roten Armee macht eine Ausgabe von Lebensmitteln an die Bevölkerung möglich. Die Abgabe erfolgt auf die gelben Lebensmittelkarten 74. Abgegeben werden jeweils 200 Gramm Bohnen und Erbsen, 50 Gramm Speiseöl, 150 Gramm Fleisch und 125 Gramm Zucker." Die Post nimmt den Post- und Telegraphenbetrieb innerhalb von Wien wieder auf. Es werden noch viele Briefe und Karten zugestellt, die vor der Befreiung Wiens aufgegeben wurden, darunter Post der Nazi-Dienststellen, Einberufungen zur Wehrmacht und Verpflichtungen zu Arbeitseinsätzen in der deutschen Rüstung. Die Ankerbrotfabrik gibt im "Neuen Österreich" bekannt, "dass sich sämtliche Arbeiter und Angestellten sofort im Betrieb, Wien 10, Absberggasse, zur Arbeit einzufinden haben. "Die Fabrik", heißt es weiter, "nimmt sofort gelernte Müllner auf."

Donnerstag, 3. Mai 1945

US-Truppen besetzen Innsbruck. Das "Neue Österreich" meldet: "Radio Wien sendet wieder". Demnach ist es der Führung der Ravag und ihren Mitarbeitern in knapp 14 Tagen nach Übernahme der weitgehend zerstörten Produktions- und Sendeanlagen gelungen, wieder einen regulären Programmbetrieb aufzunehmen. Die Straßenbahnlinie 48, die zuletzt auf der Strecke Neuwaldegg - Wilhelminenstraße - Lerchfeldplatz verkehrte, wird bis Gablenzgasse/Neubaugürtel verlängert ("Lerchfeldplatz" hieß in der Nazizeit der Johann-Nepomuk-Berger-Platz). Staatssekretär Figl wendet sich an die heimischen Milchproduzenten mit folgendem Appell: "In schweren Tagen richten wir an Euch die eindringliche Aufforderung, alle Eure Kräfte bis aufs äußerste einzusetzen, dass unser geliebtes Österreich den Weg zum eigenen wirtschaftlichen Wohlergehen wieder finde. Insbesondere ist es Eure vornehmliche Pflicht, durch restlose Ablieferung der in Euren Betrieben erzeugten Milch vorzusorgen, dass die in den Städten, insbesondere in unserer Hauptstadt verbliebenen Verbraucher, besonders aber die Kleinkinder und Kranken, ihre unumgänglich notwendige Nahrung erhalten. Wir fordern Euch daher auf, schon jetzt die zum Eigenbedarf nicht benötigte Milch abzuliefern."

Freitag, 4. Mai 1945

US-Truppen besetzen Salzburg. Bürgermeister Körner verfügt die sofortige Entlassung aller nicht zum Kriegsdienst verpflichteten Beamten und Angestellten der Stadt Wien bzw. der Wiener Stadtwerke, die sich bis zum 30. April nicht zum Dienstantritt gemeldet haben. Auf Anordnung der Gemeindeverwaltung haben die Fleischhauer heute ab 8 Uhr die Fleischausgabe zu beginnen. Wohnungsstadtrat Slavik appelliert an die Wohnungssuchenden, nicht auf eigene Faust Wohnungen zu requirieren. Wörtlich sagt er: "Wir sind fest entschlossen, die Wohnungsfrage nach sozialen Gesichtspunkten zu lösen und werden uns auf keinen Fall von Wohnungsgangstern irgendwie beeinflussen lassen." Wegen der - durch Kohlemangel verursachten - Schwierigkeiten bei der Stromversorgung muss die Zugsdichte auf den wieder eröffneten Straßenbahnlinien reduziert werden.

Samstag, 5. Mai 1945

In Holland und Dänemark kapitulieren die deutschen Truppen, die Amerikaner stehen in Berchtesgaden und rücken in Linz ein, die Rote Armee hat Norddeutschland erreicht, die Befreiung der Tschechoslowakei schreitet voran. Die sowjetischen Militärbehörden übergeben der provisorischen Regierung bzw. dem Wiener Bürgermeister 100 Lastkraft- und Personenwagen. Dadurch wird vor allem die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln erleichtert. Das Staatsamt für Verkehr kündigt an, dass die Wiederaufnahme des Personen- und Güterverkehrs am Süd-, West- und Franz-Josefs-Bahnhof bevorsteht. Das Ernährungsamt veröffentlicht folgende Ankündigung: "Angesichts des labilen Zustands der Bevölkerungsziffern in den einzelnen Bezirken beabsichtigt die Stadtverwaltung, im Interesse einer gerechten und reibungsfreien Verteilung für die wichtigsten Lebensmittel vorübergehend die Rayonierungspflicht einzuführen." Aus dem Wiener Rathaus wird darauf hingewiesen, "dass es im Interesse aller Arbeiter und Angestellten liegt, so bald als möglich in ihre Betriebe zurückzukehren, denn für die Verpflegung der Arbeitenden wird von der Gemeindeverwaltung in besonderer Weise gesorgt werden".

Sonntag, 6. Mai 1945

Die "Österreichische Zeitung" berichtet über die Probleme beim Straßenbahnbetrieb und schreibt unter anderem: "Im Vergleich zur Friedenszeit sind jetzt nur noch knapp 40 Prozent der Triebwagen und 45 Prozent der Beiwagen halbwegs verwendbar." Die Stadtwerke teilen mit: "Die Abgabe von Gas zu Kochzwecken wird noch einige Zeit auf sich warten lassen." Im Wiener Stadttheater tritt erstmals und mit großem Erfolg das Rotarmistenensemble der 3. Ukrainischen Front vor österreichischem Publikum auf. Auf dem Programm stehen "sowjetische Volkslieder und österreichische Weisen". Das "Neue Österreich" veröffentlicht einen Augenzeugenbericht über das Vernichtungslager Auschwitz mit dem Titel: "Hölle von Auschwitz - Sechs Millionen Tote". Sportklub und Vienna tragen das erste Fußballspiel von Mannschaften der höchsten Leistungsklasse nach der Befreiung aus; Vienna siegt mit 3:2.

Montag, 7. Mai 1945

Generaloberst Jodel unterzeichnet im Hauptquartier General Eisenhowers in Reims um 2.41 Uhr die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. In der beginnenden Woche findet in Wien die "Lebensmittelrayonierung" statt. Dazu schreibt das "Neue Österreich": "Die Rayonierung gibt den Wienern Gelegenheit, die Gemeinde bei ihrer schwierigen Aufgabe, die Lebensmittel in jeder Hinsicht gerecht zu verteilen, aus eigener Initiative verständnisvoll zu unterstützen. Es stellt jeden Einwohner Wiens frei, seinen Lebensmittelhändler zu wählen, sich also denjenigen auszusuchen, der ihm in jeder Beziehung passt, und diejenigen auszuschalten, die in das heutige Wien nicht mehr hineinpassen." (Die Konsumenten legen sich dabei auf ein Geschäft fest, in dem sie ihre Lebensmittelmarken einlösen.) Die provisorische Standesvertretung der Wiener Trafikanten gibt bekannt: "Da die Trafiken über keinerlei Rauchwaren verfügen und in nächster Zeit keinerlei Zuteilung zu erwarten ist, werden die Verschleißstellen ihre Geschäfte nur so lange offenhalten, bis ihre Zeitungsauflage verkauft ist."

Dienstag, 8. Mai 1945

In der Aula der Technischen Universität in Berlin wird um 23 Uhr die Kapitulationsurkunde Deutschlands in Anwesenheit von Vertretern der vier alliierten Mächte ratifiziert. Die Kapitulation tritt am 9. Mai in Kraft. In Klagenfurt ziehen englische Truppen ein. Sowjettruppen besetzen Hollabrunn und Stockerau und führen letzte Kämpfe um die Burg Kreutzenstein in Niederösterreich. Die provisorische Regierung erlässt nach Erteilung der Genehmigung durch die sowjetischen Militärbehörden, das Gesetz über das Verbot der NSDAP. Alle Personen, die zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 27. April 1945 der Nazi-Partei oder einer ihrer Gliederungen (SS, SA usw.) angehört haben, sind registrierungspflichtig. Verfahren auf der Grundlage dieses Gesetzes kommen vor sogenannte Volksgerichte. Sie setzen sich aus zwei Berufsrichtern und drei Laienrichtern zusammen, die von den demokratischen Parteien nominiert werden. Das "Neue Österreich" meldet die Gründung des einheitlichen Österreichischen Gewerkschaftsbundes. In Mauthausen wird das größte Konzentrationslager auf österreichischem Boden befreit. Mehr als 125.000 Menschen aus fast allen Ländern Europas sind dort ermordet worden.

Mittwoch, 9. Mai 1945

Die Kapitulation Deutschlands tritt um 1 Uhr in Kraft. Die "Österreichische Zeitung" erscheint mit dem Aufmacher auf Seite 1: "Der Krieg ist zu Ende". Der Untertitel lautet: "Unterzeichnung des Aktes der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte". Die provisorische Regierung gibt aus diesem Anlass eine Erklärung ab, in der es heißt: "Das Volk Österreichs begrüßt die Beendigung des Waffenganges, begrüßt die Anbahnung friedlicher Zustände und dankt den verbündeten Weltmächten dafür, dass sie die Wiederkehr des Friedens beschleunigt und damit Österreich von dem Drucke der deutschen Gewaltherrschaft erlöst haben. Österreicher! Zurück zur Friedensarbeit! ... Die nahe Zukunft wird schwer, unser aller Leben nicht leicht sein; aber wir sind endlich wieder Herren unseres eigenen Schicksals, Österreich gehört wieder den Österreichern! Unzerstörbare demokratische Einrichtungen werden die Bürgschaft sein, dass sich die unglückseligen Ereignisse dieser sieben Jahre niemals mehr wiederholen. Wir haben gelernt und werden das Gelernte nie mehr vergessen! Und so wollen wir denn unser Land und unser Gemeinwesen durch die gesammelte Tatkraft aller Bürger wieder aufbauen und wollen uns und unseren Kindern in der Gemeinschaft aller Nationen der Welt eine bessere Zukunft bereiten!" In den Wiener Bezirken finden von allen drei Parteien getragene Kundgebungen statt, um den Frieden zu feiern. In ganz Österreich werden Dankgottesdienste abgehalten. In Graz ziehen Truppen der Roten Armee ein.

Donnerstag, 10. Mai 1945

Der Kabinettsrat beschließt eine Reihe von Gesetzen, durch die von den Nazi konfisziertes öffentliches und privates österreichisches Eigentum sichergestellt und die Verwaltung von "führungslosen" Unternehmen geregelt wird. Das Landwirtschaftliche Arbeitsamt gibt bekannt, dass geeignete Arbeitskräfte auch aus Wien für den Einsatz in der Landwirtschaft gesucht werden. Die Gemeindeverwaltung teilt mit, dass brachliegende Flächen kostenlos und auf unbestimmte Zeit an Siedler zum Anbau von Gemüse und Erdäpfel vergeben werden; Ansuchen nimmt das Wohnungsamt entgegen. Die Städtischen Büchereien ersuchen um Bücherspenden, um die Bestände vor allem um österreichische Titel zu bereichern, die in der Nazizeit vernichtet wurden. Wegen des gigantischen Bedarfs und stillgelegter Produktion werden mit sofortiger Wirkung sämtliche Vorräte des Glasgroßhandels und des Glasergewerbes in Wien beschlagnahmt.

Freitag, 11. Mai 1945

Aus London verlautet, dass "die alliierte Militärverwaltung im besetzten Deutschland unverzüglich alle Maßnahmen zur restlosen Ausrottung des Nazismus unternehmen wird". Unter anderem "bleiben die Schulen vorderhand geschlossen. Sie werden erst nach der Fertigstellung der neuen, vom nazistischen Geist gesäuberten Schulbücher wieder eröffnet werden". Das "Neue Österreich" meldet ferner: "Die Lebensmittelrationen in Deutschland werden auf das Niveau der in Frankreich und Holland während der deutschen Besetzung in Geltung gewesenen Rationen, also ungefähr auf die Hälfte herabgesetzt werden." In der Tschechoslowakei gehen letzte Kämpfe zwischen der Roten Armee und SS-Einheiten, die nach dem Westen zu kommen trachten, zu Ende. - Die Optiker-Innung verweist darauf, dass es in Österreich weder eine nennenswerte Brillenglasschleiferei noch eine Fassungsindustrie gibt; mit Versorgungsengpässen sei daher zu rechnen. Wörtlich heißt es weiter: "Deshalb möge sich jeder Brillenträger vor Augen halten, dass er ohne Augengläser hilflos ist, und seine Brille vor Bruch schützen." Das "Neue Österreich" meldet unter anderem: "In Hernals gibt es kein Schlangestehen", "Wiener Gebietskrankenkasse in Tätigkeit", "Der Neuaufbau der Feuerwehr", "Eröffnung von Wiener Bädern" und "Es gibt wieder Handball". Den Auftakt macht ein Hernalser Derby zwischen Sportklub und Post.

Samstag, 12. Mai 1945

In London erläutert US-Kriegsminister Simson die Pläne für eine gemeinsame Besetzung Deutschlands durch die Alliierten. Dazu meldet das "Neue Österreich" wörtlich: "Die Regierungsgewalt wird in Händen einer Alliierten Kontrollkommission liegen, in der jede der vier Mächte vertreten ist....Es wird nicht ihre Aufgabe sein, das geschlagene Deutschland mit Lebensmittel zu versorgen oder die verwüsteten Städte wieder aufzubauen, vielmehr, den Nationalsozialismus in Deutschland mit der Wurzel auszurotten und die Herrschaft des Rechts und der Gleichheit vor dem Gesetz wieder herzustellen." Das österreichische "Staatsamt für Inneres" erlässt eine "Verordnung über die Registrierung der Nationalsozialisten". Unter dem Titel "Die Schule in Wien" schreibt die "Österreichische Zeitung": "Von den 350 Schulgebäuden wurden zirka 200 beschädigt ... In den letzten zwei Wochen ist es den Schulbehörden gelungen, in zirka 90 Schulen den Unterricht aufs Neue zu beginnen....Ab Montag, den 14. Mai sollen noch zirka 70 Schulen den unterbrochenen Unterricht wieder aufnehmen."

Sonntag, 13. Mai 1945

Im "Neuen Österreich" erscheint ein Bericht über die Behebung der Kriegsschäden in Wien. Darin heißt es: "Rund ein Viertel der Wiener Wohnhäuser, ungerechnet der übrigen Bauten, ist entweder völlig zerstört oder beschädigt. Zehntausende Wohnungen sind vollständig vernichtet. ... Es wurde daher zur Lenkung des Wiederaufbaus im Stadtbauamt ein 'Amt für die Behebung baulicher Kriegsschäden' errichtet. Das Amt hat in allen Bezirken Wiens Zweigstellen, die allen am Wohnbau Beteiligten mit Rat und Tat zur Seite stehen." Das Blatt meldet ferner: "Die Schlachtung von Milchkühen ist im Interesse der Milchversorgung der Kleinkinder unbedingt verboten." Das Volkstheater nimmt den Spielbetrieb mit "Die Katakomben" von Gustav Davis wieder auf. Es heißt nicht mehr "Deutsches Volkstheater", weil es nunmehr ein österreichisches Theater ist. Direktor ist Günter Haenel, unter dessen Leitung in knapp zwei Wochen das von Bomben und Granaten schwer beschädigte Haus so weit wiederhergestellt wurde, dass gespielt werden kann. Schauspielerinnen und Schauspieler haben beim Schuttschaufeln und Dachflicken genauso mitgeholfen wie das technische Personal und russische Soldaten.

Montag, 14. Mai 1945

Die Wiener Gemeindeverwaltung erinnert daran, dass die Verdunkelung vorläufig noch aufrecht ist, und appelliert an die Bevölkerung, "die bisherigen diesbezüglichen Vorschriften streng einzuhalten." Unter dem Titel "Milchausgabe für Kleinstkinder" schreibt das "Neue Österreich": "Infolge des Ausfalles von Milchanlieferungen vom flachen Lande konnten in letzter Zeit in vielen Bezirken nicht einmal Kleinstkinder mit Milch versorgt werden. Um nun wenigstens für Kinder bis zu einem Jahr einen Viertelliter Milch täglich sicherzustellen, war es notwendig, den Milchanfall aus den in Wien vorhandenen Meiereien zentral zu erfassen und auf alle Bezirke gleichmäßig aufzuteilen." Die "Österreichische Zeitung" vermerkt einen verstärkten Einsatz von sowjetischen Spiel- und Dokumentarfilmen in den Wiener Kinos. Auf Seite drei bringt das Blatt einen ganzseitigen Artikel über das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Im Kulturbereich wird eine Nestroy-Renaissance registriert: Das Burgtheater gibt "Mädel aus der Vorstadt".

Dienstag, 15. Mai 1945

Das Zweite Österreichische Freiheitsbataillon, das an der Seite der Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens gekämpft hat, wird von Vertretern von Bundesregierung und Stadt Wien offiziell auf dem Burghof begrüßt. Am Tag darauf titelt das "Neue Österreich": "Das Volk von Wien begrüßte Freiheitskämpfer". Im Text heißt es unter anderem: "Eine kurze Ankündigung in unserer Zeitung hatte genügt, und Zehntausende kamen...." Als Redner auf der Kundgebung traten Bürgermeister Körner, Staatssekretär Honner und Bataillonskommandant Hofer auf. - Die Wiener Feuerwehr hat wieder 650 Mann, überwiegend Pensionisten, die sich zum Dienst gemeldet haben, aber auch mehr als 200 der nach Westen abgezogenen Männer, die sich nach Wien durchschlagen konnten. Es ist unbekannt, wo die anderen, und mit ihnen die Fahrzeuge und Geräte sind. Von 32 Feuerwachen sind 10 schwer, alle anderen leicht beschädigt.

Mittwoch, 16. Mai 1945

Die Reste der deutschen Balkanarmee in Jugoslawien kapitulieren. Das "Neue Österreich" sieht den "Wienerwald in Gefahr". Dazu schreibt das Blatt: "Der in den Haushalten bestehende Mangel an Brennmaterial ist groß... es ergreifen manche Wiener durchaus abwegige Hilfsmaßnahmen. Nach ihrer Meinung soll nun unser herrlicher Wienerwald, der Freudenquell und Energiespender einer Zweimillionenstadt, als Lückenbüßer für das sonst schwer aufzutreibende Brennmaterial dienen." Stadtrat Felix Slavik teilt mit, dass die Stadt Wien den Kleingärtnern mit Samen und zweieinhalb Millionen Gemüsepflanzen unter die Arme greifen will und überdies 250.000 Quadratmeter "Grabeland" zur Anlage neuer Kleingärten vergibt. In einer Meldung wird vor leichtfertigem Hantieren mit Sprengkörpern (aus dem 2. Weltkrieg) gewarnt. Die Volkshochschule Ottakring veranstaltet einen Schubertabend; die Volkshochschule Margareten bringt eine Revue mit dem Titel "Servus, Wien!"

Donnerstag, 17. Mai 1945

Das "Neue Österreich" ist gespickt mit Meldungen, die auf energische Versuche hindeuten, die Versorgung in den Griff zu bekommen. Aus einem Artikel mit dem Titel "Wien meistert Versorgungsprobleme" geht hervor, dass von 2.500 gemeldeten LKW nur mehr 40 und von 3.400 amtlich gezählten Pferden nur mehr 748 zur Verfügung stehen. In einem Beitrag mit der Überschrift "Aufbau der Sozialversicherung" heißt es: "Es wird aller Anstrengungen bedürfen, um...die Versorgung der Kranken und insbesondere die Ansprüche auf Rentenleistungen sicherzustellen." Das Blatt berichtet über den Gründungskongress der überparteilich geplanten "Freien Österreichischen Jugend" und den "Arbeitseinsatz der Nazi in Mariahilf". Dazu heißt es wörtlich: "Schon um 7 Uhr früh sieht man die Kolonnen antreten, denen diese .. (Aufräumungs- und Ausbesserungs-) Arbeiten... zugeteilt werden und die auf solche Weise in die Lage versetzt werden, wenigstens zu einem bescheidenen Teil das wiedergutzumachen, was der Nazismus an unserer Stadt verbrochen hat. Je mehr Wiener Bezirke diesem Beispiel von Mariahilf folgen, desto schneller wird es gelingen, Schäden zu beseitigen, deren Behebung lebenswichtig ist, ....." Das Volksopernensemble nimmt seine Tätigkeit mit "Der Waffenschmied" von Albert Lortzing wieder auf. Im Haus spielen nun abwechselnd die Staatsoper und die Volksoper.

Freitag, 18. Mai 1945

Im Rahmen des Gesetzes zur Bewirtschaftung von Baustoffen wird eine "Schuttordnung" erlassen. Sie ermächtigt die Gemeinden, "alle infolge von Kriegseinflüssen abgelagerten Baustoffe aus ganz oder zum Teil zerstörten Gebäude wie Ziegel, Steine, Balken usw. zu beschlagnahmen und für die Instandsetzungsarbeiten an kriegsbeschädigten Gebäuden zu verwenden." Die Wiener Gemeindeverwaltung appelliert an die Bevölkerung folgende Gesichtspunkte bei der "Müllsortierung" zu beherzigen: "Brennbare Abfälle nicht ablagern, sondern verbrennen. Zur Müllablagerung nur Plätze verwenden, auf denen bereits Müll lagert. ...Vor allem pflanzliche und tierische Abfälle mit Erde, Asche oder dergleichen abdecken oder mit Kalkmilch bespritzen." Der Betriebsbeginn der intakten Wiener Straßenbahnlinien wird um eine Stunde auf 5.45 Uhr ab Endstellen vorverlegt. Gleichzeitig wird der Betriebsschluss mit 19.30 Uhr ab Endstellen statt wie bisher um 19 Uhr festgesetzt. Die Gemeindeverwaltung ruft alle Hausbesitzer und Hausbesorger auf, dafür zu sorgen, dass der während des Krieges "für Feuerlöschzwecke ausgegebene hochwertige Sand für Bauarbeiten" bereitgehalten wird. Die staatliche Forstverwaltung beklagt das Verschwinden von 10.000 Raummeter Brennholz und macht darauf aufmerksam, dass nur das Einsammeln von Klaubholz gestattet ist.

Samstag, 19. Mai 1945

Aus London berichtet das "Neue Österreich", Japan habe nach dem Fall von Manila vergeblich "Friedensfühler" ausgestreckt. Die Vereinigten Staaten bestünden auf einer bedingungslosen Kapitualtion. Unterdessen fliegt die Luftwaffe der USA Angriffe auf Tokio und Industriezentren Japans. In Wien werden zunächst 14 Städtische Büchereien wieder eröffnet. Teile von Simmering werden mit einem Gemisch aus Erd- und Koksgas versorgt, und zwar täglich von 5 bis 8, von 10.30 bis 13 und von 18.30 bis 21 Uhr. Finanzstadtrat Honay gibt bekannt, dass für den Monat Juni allen Gemeindebediensteten lediglich ein Vorschuss auf ihre Bezüge ausgezahlt wird, dessen Höhe noch nicht feststeht. Das Akademietheater eröffnet mit Ibsens "Hedda Gabler".

Pfingstsonntag, 20. Mai 1945

Nach einem Bericht des "Neuen Österreich" haben tausende Wiener einem Aufruf des Landwirtschaftlichen Arbeitsamtes Folge geleistet und sich für eine einschlägige Tätigkeit vormerken lassen. Wörtlich heißt es: "Da der Bedarf entsprechend ist, werden demnächst mehrere tausend Arbeitsuchende aus Wien Ihr Unterkommen in der Landwirtschaft finden." Motiv der Bewerber ist die Hoffnung, bei der landwirtschaftlichen Arbeit genug Essen zu bekommen. Das Gesundheitsamt verweist auf eine Typhusgefahr und wirbt für Schutzimpfungen. Gleichzeitig wird unterstrichen, dass auch Hochquellwasser nur gekocht getrunken werden soll. Baumeister Josef Kain zeigt sich im Gespräch mit dem "Neuen Österreich" zuversichtlich, dass "Steffl, Oper und 'Burg' wiedererstehen können". In dem Blatt erscheint folgendes Inserat. "Mc. Caul Smith, 22., Thongasse 8, English lessons for beginners and conversation". Die "Österreichische Zeitung" meldet: "Die neue Anwaltkammer in Tätigkeit".

Pfingstmontag, 21. Mai 1945

Zu den Pfingstfeiertagen blüht das Sportgeschehen. Unter anderem wurde das erste überregionale Feldhandballturnier in Wien ausgetragen. Dabei "gelang es dem Wiener Sportklub", wie das "Neue Österreich" berichtet, "den Favoriten des Turniers, Straßenbahn, in einem bis zur letzten Minute spannenden Endspiel zu schlagen". Im Bereich des Fußballs wurden vorwiegend Ausscheidungsspiele auf Bezirksebene ausgetragen. Das Favoritner Turnier gewann der FC Wien; er siegte im Endspiel gegen Rapid Oberlaa mit 9:1.

Dienstag, 22. Mai 1945

Der britische Ernährungsminister gibt eine Herabsetzung der Lebensmittelrationen in Großbritannien bekannt. Zweck der Maßnahme ist die wirkungsvollere Hilfeleistung in den befreiten Ländern Europas. In Verbindung damit steht eine weitere Meldung aus London, wonach "Deutschland nicht mehr Lebensmittel verbrauchen dürfe als die Einwohner befreiter Länder. Auf Grund eigenen Augenscheins könne er (der Leiter der Abteilung öffentliche Gesundheitsfürsorge beim Obersten Alliierten Hauptquartier) sagen, dass die Deutschen vielfach besser ernährt sind als viele Einwohner Großbritanniens." Im Kabinettsrat berichtet Staatskanzler Dr. Renner über einen Besuch in Graz. Das "Neue Österreich" berichtet darüber unter dem Titel "Enger Kontakt mit der Steiermark". Wörtlich heißt es: "Landeshauptmann Machold gab der allgemeinen Genugtuung Ausdruck, dass es gelungen sei, mit der Staatsführung die notwendigen Beziehungen herzustellen; es gelte nun, sie ohne Verzug in entsprechender Weise auszubauen, um auf allen Gebieten gleichmäßig vorzugehen." Nach einem Bericht der "Österreichischen Zeitung" ist eine weitere Einheit österreichischer Freiheitskämpfer aus Jugoslawien nach Wien heimgekehrt und beim Marsch ins Zentrum der Stadt von der Bevölkerung freundlich aufgenommen worden. Gast- und Kaffeehäuser werden trotz Versorgungsschwierigkeiten wieder geöffnet.

Mittwoch, 23. Mai 1945

Das "Neue Österreich" meldet "Palamentswahlen und Regierungsumbildung in Großbritannien" und bringt einen Kurzbericht über den "Krieg in Japan". Über Inlandsthemen wird unter Titeln wie "Die Milchzufuhr nach Wien" oder "Zu wenig Reparaturwerkstätten" berichtet. Unter dem Sammeltitel "Wiener Kleinkunstbühnen" wird auch die "Simpl-Eröffnung" gewürdigt. In der Rezension werden unter anderen "die unverwüstlichen Hauslieblinge Wondra und Zwickl" sowie "der vergnügliche neue Conferencier Ernst Waldbrunn" hervorgehoben.

Donnerstag, 24. Mai 1945

Das "Neue Österreich" meldet den "Studienbeginn an den Wiener Hochschulen". Der Untertitel lautet "90 Hochschulprofessoren entfernt - Kehraus im Unterrichtsministerium". Die Eisenbahndirektion gibt die Aufnahme des Bahnverkehrs auf der Westbahn bis St. Valentin bekannt; in beide Richtungen verkehrt täglich ein Zug. Nach einer Erklärung von Staatssekretär Raab soll die Wiener Oper "auf dem gleichen Platz, im alten Rahmen" wiederaufgebaut werden. Das "Neue Österreich" berichtet über die Wiedereröffnung eines Warenhauses auf der Mariahilfer Straße: " Es gibt Strohhüte in allen Farben für groß und klein, bunte Ansteckblumen für alt und jung, Knöpfe, Borten, Spitzen, Bänder, Garne und Zwirn, Teppiche, Salzfässer aus Holz, Kinderwäsche, Spiele, Aschenbecher, Perlketten und Broschen und noch vieles andere ... Gewiss, den Wiener Kaufhäusern fehlt heute noch vieles ... Aber eines kann man feststellen: aus eigener Initiative wird hier versucht, mit Wenigem über eine schwere Situation hinwegzuhelfen." Dasselbe Blatt veröffentlicht folgenden Aufruf: "Alle in Wien weilenden Bulgaren müssen die Stadt noch heute verlassen. Sammelstelle ehemaliges bulgarisches Konsulat, ... Ausnahmen nur für Kranke, werdende Mütter und jene, die schon vor dem 12. März 1938 in Wien ansässig waren."

Freitag, 25. Mai 1945

Im Oberkommando der Roten Armee findet mittags eine Besprechung mit Mitgliedern der provisorischen Staatsregierung mit Staatskanzler Dr. Renner an der Spitze statt. Am Nachmittag berichtet der Staatskanzler dem Kabinettsrat über die Besprechung und gibt zunächst bekannt, dass er am 16. Mai in einem Brief an Marschall Stalin die Lage in Österreich - speziell auf dem Gebiet der Ernährung - dargelegt habe. Marschall Stalin habe in seiner Antwort vom 24. Mai, die heute mit dem Flugzeug eingetroffen sei, eine großzügige Hilfsaktion für die Stadt Wien angekündigt. Demnach "stellt die Sowjetunion sofort bedeutende Mengen vor allem an Brotgetreide, Zucker, Salz, Kaffee, Fleisch und Fett zur Verfügung. Dadurch wird es möglich sein," schreibt das "Neue Österreich", "die Verpflegsätze vom 1. Juni an bis zur eigenen Versorgung aus der neuen Ernte so zu erhöhen, dass dadurch die volle Wiederaufnahme der Arbeit und die Verstärkung der Arbeitsproduktivität der Bevölkerung gesichert erscheint." In einem Tagesbefehl hebt Generalleutnant Blagodatow "alle Vorschriften über die Verdunkelung in der Stadt Wien und Umgebung" auf. Damit ist ein weiterer Schritt zur Normalisierung des Alltagslebens getan. Unter dem Titel "Deutsche Seife aus Menschenleichen" berichtet die "Österreichische Zeitung": "Im Danzinger Hygieneinstitut wurde eine Seifenfabrik entdeckt, in der die Deutschen aus den Leichen der Menschen, die sie zu Tode gequält hatten, Seife erzeugten."

Samstag, 26. Mai 1945

In einem "Aufruf an die Bevölkerung" gibt die Gemeindeverwaltung der Stadt Wien die Verbesserung der Versorgung mit Lebensmitteln im einzelnen bekannt. Dieser Schritt, so wird betont, sei durch die Hilfe des sowjetischen Militärkommandos möglich geworden. Ab 1. Juni erhalten pro Person täglich:

  • Schwerarbeiter und Arbeiter gesundheitsschädlicher Betriebe 450 Gramm Brot, 80 Gramm Grütze, 50 Gramm Fleisch, 20 Gramm Fett und 25 Gramm Zucker;
  • Arbeiter 400 Gramm Brot, 60 Gramm Grütze, 40 Gramm Fleisch, 10 Gramm Fett und 20 Gramm Zucker;
  • Angestellte 300 Gramm Brot, 40 Gramm Grütze, 35 Gramm Fleisch, 7 Gramm Fett und 20 Gramm Zucker;
  • Kinder, Familienangehörige ohne Einkommen und die gesamte übrige Bevölkerung 250 Gramm Brot, 30 Gramm Grütze, 20 Gramm Fleisch, 7 (Kinder 10) Gramm Fett und 15 (Kinder 25) Gramm Zucker.

Die Hochschule für Welthandel nimmt ihren Betrieb wieder auf. - Gemeldet wird: "Selbstmord Heinrich Himmlers", "Neuordnung der Handelskammern", "Wien sorgt für seine Kranken - Vollbetrieb im Allgemeinen Krankenhaus", "Fußball auf allen Plätzen". Im "Neuen Österreich" erscheint folgendes Inserat: "Non stop VII. Ohne Pause I. Täglich von 8 bis 18 Uhr. Neues Kurzfilmprogramm". Gezeigt wird der Farbentrickfilm "Armer Hansl".

Sonntag, 27. Mai 1945

"Licht und Strom für ganz Wien" meldet das "Neue Österreich". Offiziell wird auf diesem Wege bekanntgegeben, dass bereits ab morgen zusätzlich 20.000 Kilowattstunden aus steirischer Wasserkraft in das Wiener Stromnetz eingespeist werden. Spätestens bis 3. Juni sollen weitere 20.000 Kilowattstunden folgen. Dazu heißt es wörtlich: "Aus obiger Mitteilung wird die Bevölkerung mit Genugtuung entnehmen, dass binnen weniger Tage in den meisten Wiener Wohnungen wieder normale Beleuchtungsverhältnisse hergestellt sein werden. Wenn man bedenkt, dass unsere Stadt noch vor sechs Wochen von der Front durchquert und von deutschen Artilleriebeschuss heimgesucht war, so darf man wohl sagen: Es ist eine ganz große Leistung ..." Die "Österreichische Zeitung" bringt unter dem Titel "Freudige Morgenüberraschung - Die Erhöhung der Lebensmittelrationen" einen Stimmungsbericht über die am Samstag bekannt gewordene Tatsache. Darin heißt es: "Die Bevölkerung dankt Marschall Stalin und der Roten Armee für die großzügige Hilfe. Eine Riesensorge ist den Wienern abgenommen." Die Wiener Stadtbahn nimmt den Betrieb auf der Strecke von Hietzing bis Hauptzollamt (heute: Bahnhof Mitte) wieder auf. Die Abfahrt der ersten Züge wurde mit 5.45 Uhr und der letzten Züge mit 19.30 Uhr jeweils ab Endstellen festgelegt. Gleichzeitig wird die Straßenbahnlinie 10 bis Hietzinger Brücke (heute: Kennedy-Brücke) verlängert. Weitere Meldungen des Tages lauten: ""Ein halbes Kilogramm Obst pro Kopf", "Fronleichnamstag wieder Feiertag", "Schwere Brände in Tokio", "Zehntausende Opfer in Theresienstadt" (nach Berichten "von heimkehrenden Lagerinsassen"), "Studienerleichterungen für Opfer des Naziterrors". Die Stadtverwaltung teilt mit: "Die Auszahlungen der Pensionen durch die Postsparkasse ist derzeit nicht möglich, die Pensionsparteien der Stadt Wien müssen daher ihre Junipensionen selbst abholen."

Montag, 28. Mai 1945

Die Vereinigten Staaten und Großbritannien geben gleichzeitig bekannt, dass sie mit sofortiger Wirkung das System der Geleitzüge außerhalb der Kriegszone im Pazifik einstellen. Alle Handelsschiffe werden unbegleitet und voll beleuchtet auf hoher See unterwegs sein. Vor einer Bürgermeistertagung in Eisenstadt erklärt der niederösterreichische Landeshauptmann Staatssekretär Leopold Figl: "Jetzt heißt es aus den Trümmern die noch unbeschädigten Ziegel heraussuchen und ein neues Haus bauen. Erst wenn das Haus steht, können wir es wieder einrichten. Dann können wir uns um die persönlichen Wünsche der Bewohner kümmern und jeweils nach deren Wunsch und Willen da rot und dort grün bemalen..." Über die "Ausgabe der neuen Lebensmittelkarten" schreibt das "Neue Österreich": "Die Lebensmittelkarten werden heute durch die Kartenstellen ausgegeben. Die Verbraucher erhalten die Karten wie bisher durch den Hausbevollmächtigten (Hausbesorger). Den Erhalt der Karten haben die Hausbewohner auf einer Haushaltsliste zu bestätigen". In einer Erklärung tritt die Wiener Stadtverwaltung dafür ein, dass die mit der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung befassten Betrieb und ihre Beschäftigten "erforderliche Arbeiten auch an Sonn- und Feiertagen durchführen".

Dienstag, 29. Mai 1945

Die Universität Wien nimmt den Vorlesungsbetrieb an der medizinischen und philosophischen Fakultät wieder auf. Inskribieren darf nur, wer bis 28. Mai 30 Stunden Arbeitsdienst geleistet hat. Nach einer Verlautbarung der Behörden wird die Milchzuteilung für Kinder bis ein Jahr von einem Viertel- auf ein Drittelliter erhöht. Entscheidend für eine Verbesserung der Lage seien ausreichende Transportkapazitäten. Dazu heißt es wörtlich: "Die Arbeiten, die auf dem Gebiet der Milchaufbringung in den letzten Wochen und Tagen geleistet wurden, berechtigen zu der Hoffnung, dass in absehbarer Zeit eine, wenn auch geringe Zuteilung von Milch für Kinder bis zu zwei beziehungsweise drei Jahren möglich sein wird." Da das "Neue Österreich" an Montagen nicht erscheint, ist die Sportberichterstattung auf die Dienstagausgabe konzentriert. In der aktuellen Nummer werden unter anderem folgende Ergebnisse von Fußball-Freundschaftsspielen gemeldet: Wacker gegen WAC 2:1, Austria gegen Rapid-Oberlaa 6:2, Rapid gegen Red Star 2:1, Vienna gegen Helfort 4:3. Unter dem Titel "Erste Sportschau im Konzerthaus" heißt es wörtlich: "Sonntag fand im Großen Saal des Konzerthauses die erste Akademie des österreichischen Sportes statt... Der Transport der Geräte allein war schon eine sportliche Leistung. Sie mussten zum Teil vom Laaerberg auf Handwagen in das Konzerthaus gebracht werden. Die Turner, die seit Jahren keine Übungsmöglichkeiten hatten, trainierten einige Stunden vor der Aufführung und traten dann zum erstenmal wieder in geschlossener Riege an."

Mittwoch, 30. Mai 1945

Das Staatsamt für Inneres ersucht um die "Mithilfe der Bevölkerung", damit die "schuldigen Nationalsozialisten" erfasst werden können. In dem Aufruf heißt es wörtlich: "Grundprinzp im freien, demokratischen Österreich ist es aber, dass der Patriot, der seiner Heimat einen Dienst leistet, mit Namen und Anschrift zeichnet. Der anonyme Feigling wird im freien Österreich abgelehnt. Die Behörde ersucht, dass nur konkrete Tatsachen, die einer persönlich weiß und nicht etwa aus dritter Quelle fragwürdiger Art einmal gehört hat, mitgeteilt werden." Gleichzeitig beginnt das "Neue Österreich" mit der Veröffentlichung von Leserzuschriften unter dem Titel "Der Ruf nach dem eisernen Besen". In den Schreiben wird durchwegs gefordert, gegen aktive Nazi durchzugreifen. Das Blatt berichtet über "Neuerungen im Schulwesen". Unter anderem wird die fünfstufige Notenskala wieder eingeführt. "Eine der wichtigsten Neuerungen ist die vom Staatsamt für Ernährungswesen geplante Ausspeisungsaktion großen Umfangs, denn es sollen 80.000 Portionen verteilt werden. Das Essen wird in Großküchen hergestellt und von dort in Thermoskannen an die verschiedenen Anstalten weitergeleitet. Jeder Schüler bekommt eine Karte mit Schulstempel ausgefolgt, die ihn berechtigt, eine Mahlzeit pro Tag zu konsumieren."

Donnerstag, 31. Mai 1945

"Männer und Frauen an die Arbeit"! Unter diesem Titel berichtet das "Neue Österreich" über einen Appell des Staatsamtes für soziale Verwaltung an alle männlichen und weiblichen Arbeitskräfte sämtlicher Berufe, sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Dazu gehöre eine ordnungsgemäße Meldung beim Arbeitsamt bzw. die Aufnahme einer regulären Beschäftigung. Ferner meldet das Blatt "Das Hungergespenst gebannt" und schreibt, dass es innerhalb nur einer Woche gelungen sei, die Ver- und Zuteilung von Lebensmitteln neu zu organisieren. Dies war notwendig, um die auf Grund der sowjetischen Hilfe in Aussicht gestellte Erhöhung der Rationen ab 1. Juni entsprechend vorzubereiten. "220 Wasserrohrgebrechen in Wien" werden registriert, die "Technik öffnet wieder ihre Pforten", und auf folgenden Linien wird der Straßenbahnverkehr wieder aufgenommen: Linie 66 zwischen Laxenburger Straße/Troststraße und Ost- bzw. Südbahnhof; Linie 360 zwischen Mauer und Perchtoldsdorf/Brunnergasse. Per Inserat suchen diverse Firmen unter anderem Transport- und Hilfsarbeiter, Oberbauarbeiter und Büromaschinenmechaniker. Im Theater in der Josefstadt stehen zwei Premieren bevor: Drei Einakter, darunter Nestroys "Frühere Verhältnisse", und Priestleys "Die Conways und die Zeit". - Die Gemeindebediensteten bekommen für Juni eine einheitliche Bezahlung von 150 Reichsmark.