Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

Oktober

Montag, 1. Oktober 1945

Der Allierte Kontrollrat stellt die Pressefreiheit in Österreich wieder her. In einer Verlautbarung heißt es: "In Erkenntnis der großen Wichtigkeit der österreichischen Presse für den Wiederaufbau des Landes und in dem Bestreben, die österreichische Einheit zu fördern und ein freies, unabhängiges Österreich zu errichten, erklärt der Alliiertenrat wie folgt:

  1. Die demokratische Presse wird hiemit in vollem Umfang zugelassen und den nachfolgenden Bedingungen unterworfen:
    1. Sie soll sich demokratischen Prinzipien befleißigen...
    2. Sie soll in keinem Fall Material veröffentlichen, das geeignet ist, die militärische Sicherheit der Besatzungskräfte - weder aller noch einzelner - zu gefährden.
    3. Sie soll sich der Veröffentlichung von Mitteilungen enthalten, die darauf gerichtet sind, eine Uneinigkeit unter den Alliierten oder Misstrauen und Feindschaft gegen die Besatzungsmächte in ihrer Gesamtheit oder gegen deren Besatzungstruppen in Österreich herbeizuführen.
    4. Sie hat sich der Veröffentlichung von Mitteilungen zu enthalten, die geeignet wären, die öffentliche Ordnung zu stören.
  2. Die Herausgabe von Zeitungen und periodischen Druckschriften wird ... für ganz Österreich gestattet,....
  3. Zeitungen und periodische Druckschriften unterliegen keiner Zensur.
  4. Übertretungen der in Punkt 1 gestellten Bedingungen werden mit zeitweiser oder dauernder Einstellung der Zeitung oder periodischen Druckschrift bestraft.
  5. Die Überwachung der Durchführung der gesamten Anordnung einschließlich der in Punkt 4 erwähnten Strafmaßnahmen erfolgt durch den Alliierten Rat."

Die Post arbeitet wieder österreichweit. Autos und pferdebespannte Wagen dürfen über die Grenzen der Besatzungszonen fahren, werden allerdings an beiden Seiten dieser Grenzen genau kontrolliert. Das Burgenland, das in der Nazi-Zeit auf Niederösterreich und Steiermark aufgeteilt war, wird als eigenständiges Bundesland wiederhergestellt.

Dienstag, 2. Oktober 1945

Die Außenministerkonferenz in London, an der die Vertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs, der Sowjetunion und Chinas teilgenommen haben, wird ohne gemeinsame Erklärung abgeschlossen. Auf eine Fortsetzung noch heuer wird gehofft. Unter dem Titel "Verlängerung der Gemeinschaftsarbeit" wird in Wien verlautbart: "Für die nach dem Gesetz zur Arbeitspflicht herangezogenen Personen wird eine Dienstleistung von weiteren vier Wochen, das ist bis einschließlich 28. Oktober 1945, angeordnet." Die Stadt Wien bildet einen eigenen Fonds für die Kulturförderung.

Mittwoch, 3. Oktober 1945

In den Sälen des Wiener Konzerthauses findet eine Großkundgebung für die Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich statt. Renner, Figl, Körner und Honner, als Redner aller drei Parteien, ergreifen das Wort. Sie unterstützen durchwegs die Forderung nach Rückkehr Südtirols zu Österreich. In einer per Akklamation beschlossenen Resolution heißt es: "Die Wiener Bevölkerung appelliert an die alliierten Mächte, bei den Friedensverhandlungen das Unrecht wiedergutzumachen, das durch die Abtrennung Südtirols an Österreich begangen wurde, und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auch in diesem Falle durch eine Volksabstimmung Geltung zu verschaffen." Der Bürgermeister von Wien ordnet drastische Stromsparmaßnahmen an, die am 8. Oktober wirksam werden. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Haushalte mit 1 bis 2 Personen maximal zwei, mit 3 bis 4 Personen 2,5 und mit 5 und mehr Personen 3 Kilowattstunden Strom pro Tag verbrauchen. Pro Raum darf nur eine 25 bis 40 Watt starke Lampe verwendet, pro Wohnung dürfen maximal zwei Räume beleuchtet werden. Haushaltsgeräte sollen ab Einbruch der Dunkelheit nicht mehr verwendet werden. Heizgeräte sind in der Zeit von 6 bis 22 Uhr verboten. In jedem Haus darf lediglich ein Drittel der Haushalte gleichzeitig Strom für Kochzwecke verwenden. Ähnliche Einschränkungen müssen Ämter, Gewerbe und Industrie hinnehmen. Wörtlich heißt es: "Stromverbraucher, welche die zulässigen Strommengen überschreiten, werden solange vom Strombezug abgeschaltet, bis der Mehrverbrauch hereingebracht ist." Sowjetische Pionieren haben die Aspernbrücke wiederhergestellt, sie wird an Bürgermeister Körner übergeben.

Donnerstag, 4. Oktober 1945

In Wien herrscht eine Krise bei der Versorgung mit Erdäpfel. Sie werden lediglich im Verantwortungsbereich der sowjetischen Besatzungsmacht abgegeben. Das "Neue Österreich" schreibt: "Gasthausverpflegung vorläufig fleischlos". Das Blatt unterstreicht, dass von einer Normalisierung in diesem Bereich erst dann gesprochen werden kann, wenn die "Kartoffelkrise" überwunden wird. Bei einem Großfeuer in den Ankerbrotwerken werden die Mehlvorräte gerettet; der Betrieb wird nicht empfindlich gestört. Der Polizeipräsident richtet ein "Mahnwort" an die Wiener und empfiehlt, die Straßen im rechten Winkel zu überqueren, Kinder vom Spielen auf der Fahrbahn abzuhalten und bei Verkehrsunfällen Erste Hilfe zu leisten.

Freitag, 5. Oktober 1945

Die sowjetische Regierungszeitung "Iswestija" berichtet über das Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz und schreibt: "Der wahre Grund für den Misserfolg der Konferenz liegt in der divergierenden Haltung begründet, die die Minister hinsichtlich des Berliner Übereinkommens (= Potsdamer Abkommen) einnahmen." Nachdem die Hofburg von den Kommandostellen der Roten Armee geräumt wurde, wird hier wie während des Krieges ein orthopädisches Spital (Leitung: Professor Erlacher) eingerichtet. Bei 200 Wiener Häusern besteht nach dem Bericht einer Expertenkommission akute Einsturzgefahr. Wegen der Konzentration des Schleichhandels auf den Bereich des Naschmarktes wird den amerikanischen Soldaten vom US-Kommando das Betreten dieses Gebietes verboten. Während der Monate Dezember und Jänner werden die Schulen wegen Kohlemangels gesperrt. Das "Neue Österreich" meldet: "Drei Todesopfer durch Blindgänger". Im Text heißt es: "Dienstag stürzte bei Aufräumungsarbeiten in der Hauptallee im Prater nächst dem Ostbahnviadukt eine Person auf einen dort liegenden Blindgänger, der explodierte. Hiebei wurden drei Frauen getötet und vier Personen schwer verletzt."

Samstag, 6. Oktober 1945

US-Außenminister Brynes nimmt zum Abbruch der Londoner Konferenz Stellung und meint, das Scheitern sei auf die Forderung der Sowjetunion zurückzuführen, "dass lediglich Großbritannien, die Vereinigten Staaten und Rußland die Friedensverträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland vorbereiten sollen". Die USA seien nicht bereit, "ihren Verbündeten Vorschriften zu machen". Unter dem Titel "Weinlese beendet" berichtet das "Neue Österreich": "Leider waren auch noch andere Leute am Werk, die vom frühesten Morgen bis in die dunkle Nacht hinein Rucksäcke mit 40 und mehr Kilogramm Weintrauben vollpfropften und die es auf ihre Karte buchen können, dass mit der Lese um ganze vier Wochen früher begonnen werden musste, da sonst wohl keine Trauben an den Stöcken vorhanden gewesen wären. Ein krasses Beispiel bildet ein Weingarten an der Kahlenberger Straße, der mit rund 10.000 Stöcken bei einer normalen Mittelernte ungefähr 5.000 Kilogramm Weintrauben liefert. In diesem Jahr erntete der Besitzer sage und schreibe 475 Kilogramm. Dabei war die Ernte diesmal nach Menge und Güte weit über dem Durchschnitt". In einem Artikel über "Unbedingt notwendige Stromsparmaßnahmen" wird die Funktionsweise der Stromzähler erläutert. Auf die Frage "Wieviel Strom verbraucht eine Kochplatte?" heißt es: "Der Verbrauch einer nicht regulierbaren Kochplatte beträgt in ungefähr 1 Stunde 0,6 kWh, in 2 Stunden 1,2 kWh, in 3 Stunden 1,8 kWh, in 4 Stunden 2,4 kWh. Das Stromkontingent begrenzt also das Kochen auf ungefähr 3 bis 4 Stunden. "Fidelio", die Eröffnungsvorstellung der Staatsoper im Theater an der Wien, wird um 18 Uhr von der Ravag übertragen und von allen österreichischen Sendern und einer Reihe von ausländischen Sendern übernommen.

Sonntag, 7. Oktober 1945

Nach offiziellen Berichten erwarten 64.000 Österreicher in der britischen und amerikanischen Zone Deutschlands und Österreichs sowie in Norwegen ihre Heimkehr. Um dem Ansturm von Wohnungssuchenden zu bewältigen, eröffnet das Wohnungsamt der Gemeinde Wien am 15. Oktober Außenstellen in allen Bezirken. Zur Bewältigung der organisatorischen Vorarbeiten bleibt die Zentrale zwischen 8. und 13. Oktober geschlossen. Wörtlich heißt es ferner: "In den Bezirksexposituren werden nur solche Ansuchen behandelt, die auf dem vorgedruckten Wohnungswerberblatt eingebracht worden sind. Andere Gesuche werden nicht mehr behandelt. Mit solchen Gesuchen eingereichte Originaldokumente werden den Wohnungswerbern zurückgesendet." In einem Bericht über eine Großrazzia auf den Naschmarkt schreibt das "Neue Österreich": "Die zutage geförderten Lebensmittel und Mangelwaren waren wohl der größte Erfolg der ganzen Aktion. Portugiesische Sardinen, Sherry, alter Whisky und neben erstklassigen Stoffen alle üblichen Herrlichkeiten des Friedens". In der amerikanischen Zone werden statt 1400 Gramm Erdäpfel 300 Gramm Keks (auf Abschnitt 21 der Lebensmittelkarte) ausgegeben. Und in den Alpen ist der Winter ausgebrochen: "Im Glocknergebiet hat bei orkanartigem Schneetreiben der Neuschnee eine Höhe von drei Metern erreicht". In Wien sinkt die Temperatur unter den Gefrierpunkt.

Montag, 8. Oktober 1945

Der Alliierte Rat verfügt die Herstellung von viersprachigen Identitätskarten für alle Österreicher. Die Ausweise muss jeder ständig bei sich haben. Der Alliierte Rat beschließt außerdem Regeln für die Arbeitsbeziehungen in den Betrieben. Arbeiter und Angestellte haben das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Die Tätigkeit der Arbeiterkammern wird gebilligt. Zur Regelung von Lohnfragen sowie der Arbeitszeit und der Arbeitsbedingungen ist der Abschluss von Kollektivverträgen zulässig. Zur Kontrolle der Einkommen wird ein Interalliiertes Lohnamt eingerichtet. Die Tätigkeit der Arbeitsämter wird begrüßt. Zivilarbeiter, die von Militäreinheiten der Besatzungsmächte beschäftigt werden, werden nach den ortsüblichen Tarifen bezahlt. In Zürich stirbt der Wiener Schriftsteller Felix Salten.

Dienstag, 9. Oktober 1945

In bezug auf die Anerkennung der provisorischen Regierung wird mit einem "Durchbruch" in London und Washington gerechnet. Im Niederösterreichischen Landhaus tritt um 9.30 Uhr die 2. Länderkonferenz zusammen. Im Mittelpunkt der Arbeitssitzung in den drei Kommissionen stehen die Vorbereitung für die Nationalrats- und Landtagswahlen am 25. November. Folgende Rahmenbedingungen stehen fest: Aktives Wahlrecht ab dem vollendeten 21. und passives Wahlrecht ab dem vollendeten 29. Lebensjahr. Insgesamt werden 165 Abgeordnete in 25 Wahlkreisen nach dem Proportionalsystem gewählt. Im "Neuen Österreich" erscheinen Diskussionsbeiträge zur Frage des Wahlrechts für Nazi. Das Blatt meldet, dass Damenschneider wegen Stoffmangels vorläufg nur Reparaturen ausführen. Die Erzdiözese Wien bildet ein "Kirchliches Bauamt für den Wiederaufbau zerstörter Gotteshäuser". Der sowjetische Hochkommissar Marschall Konjew übergibt der Stadt Wien zwei Millionen Reichsmark sowie Transportmittel und Baumaterial für den Wiederaufbau der Staatsoper, der damit beginnen kann.

Mittwoch, 10. Oktober 1945

Die 2. Länderkonferenz beschließt, die Nationalsozialisten vom Wahlrecht auszuschließen. Wörtlich heißt es dazu in einer Resolution: "Den ehemaligen Nationalsozialisten (Parteimitgliedern, Parteianwärtern, Angehörige der Wehrverbände) wird das Wahlrecht entzogen. Nur den Mitgliedern des NSKK und NSFK wird das Wahlrecht zugebilligt, wenn sie nicht Parteimitglieder waren. Die Begründung hiefür liegt in der Tatsache, dass die Beitritte zu diesen Formationen hauptsächlich erfolgten, um einem Beitritt zur NSDAP auszuweichen. Mitglieder oder Parteianwärter, die aus politischen Gründen durch staatliche Behörden des Dritten Reiches Verfolgungen zu erdulden hatten, erhalten ebenfalls das Wahlrecht". "Für die laufende Woche", schreibt das "Neue Österreich", "werden auf die Lebensmittelkarte für alle Zonen aufgerufen: a) Fett auf Abschnitt 19 = 75 Gramm für Kinder bis 3 Jahre und 110 Gramm für alle übrigen Personen, auf Abschnitt 68 = 30 Gramm für Verbraucher aller Altersstufen, auf Abschnitt 18 = 60 Gramm für Kinder bis 3 Jahre und für alle Konsumenten über 12 Jahre, 130 Gramm für Kinder bis 6 Jahre und 200 Gramm für Kinder bis 12 Jahre". Das Theater in der Josefstadt hat nach einem Bericht des "Neuen Österreich" bereits "200 mal' Hofrat Geiger" gegeben.

Donnerstag, 11. Oktober 1945

Das "Neue Österreich" berichtet über eine "Erfreuliche Bilanz" bei der Gemeinschaftsarbeit in der vergangenen Woche. Demnach haben sich daran in Wien insgesamt 113.600 Personen beteiligt und 136.815 Halbtagsschichten geleistet. Unter dem Titel "Tägliche Unfälle auf der Stadtbahn" wird gemeldet, dass neuerlich zwei Personen unabhängig voneinander vom Trittbrett eines überfüllten Wagens gestürzt sind und sich schwer verletzt haben. In einem Bericht über Bemühungen um die Ölfeuerung in privaten Haushalten heißt es: "Die Austria-Emailwerke haben unter dem Namen 'Molly' einen zirka 60 Zentimeter großen, speziell für Ölfeuerung konstruierten Ofen herausgebracht, der zugleich zur Raumheizung und auch als Kochherd verwendet werden kann.... Leider können in der nächsten Zeit nur 200 Stück dieser Öfen pro Tag erzeugt werden, wobei in 50 Tagen die Materialvorräte erschöpft sein werden, sofern bis dahin keine Nachschaffung möglich ist". Ab 11 Uhr werden der 4., 5. und Teile des 12. Bezirks mit Gas versorgt. Nach wie vor gelten folgende Bezugszeiten: 5.30 bis 7 Uhr, 11 bis 13 Uhr und 18.30 bis 20 Uhr.

Freitag, 12. Oktober 1945

Das Allied Labor Committee ordnet die Erfassung der arbeitsfähigen Bevölkerungs Wiens an: "1. Zu melden haben sich, soweit sie in Wien in den Bezirken I bis XXI wohnhaft sind, alle Männer vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 65. Lebensjahr (Jahrgänge 1931 bis 1880) und alle Frauen vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 50. Lebensjahr (Jahrgänge 1931 bis 1895), und zwar sowohl Inländer als auch Ausländer......4. Wer die Erstattung der Meldung unterlässt, erhält für die nächste Bezugsperiode keine Lebensmittelkarte..." Abgewickelt wird die Aktion unter Verwendung eigener Fragebögen über die Kartenstellen und mit Hilfe der Hausvertrauensleute. Für November wird eine neue, in ganz Österreich gültige Briefmarkenserie angekündigt. Der Arlberg-Express trifft aus Paris in Wien ein; damit ist der durchgehende Zugsverkehr über die Demarkationslinien und Landesgrenzen hinweg wieder aufgenommen. Österreicher dürfen den Zug nicht benützen. Die Direktion der Wiener Verkehrsbetriebe erklärt die "Übelstände auf der Stadtbahn" mit Überfüllung, die auf Stromstörungen und Waggonmangel zurückgeht. Das Staatsamt für Inneres verlautbart: "In der nächsten Zeit wird mit der Ausstellung viersprachiger Identitätsausweise begonnen werden, deren Besitz für alle österreichischen Staatsbürger zwingend vorgeschrieben ist. Da diese Ausweise mit einem Lichtbild des Inhabers versehen sein müssen, ergeht schon jetzt an die Bevölkerung die Aufforderung, sich rechtzeitig mit vorschriftsmäßigen Lichtbildern zu versehen. Die Lichtbilder müssen 5 mal 6 groß sein (Hochformat), den Ausweisinhaber ohne Kopfbedeckung darstellen und ihn zweifelsfrei erkennen lassen". In der Floridsdorfer Lokomotivfabrik wird die erste Lokomotive des neuen Österreich fertiggestellt.

Samstag, 13. Oktober 1945

Das "Neue Österreich" berichtet: "Durch die Polizeidirektion wurden neuerlich Streifungen auf verschiedenen Schleichhandelsplätzen Wiens mit folgendem Ergebnis durchgeführt: ..... Auf dem Meiselmarkt und Umgebung wurden 48 Personen angehalten. Bis auf den Malergehilfen Franz S., welcher eben vier Kilogramm Zucker gekauft hatte, konnten die Angehaltenen wieder entlassen werden. S. wird der Bestrafung zugeführt. Im Waldmüllerpark wurden 35 Personen angehalten und nach Ausweisleistung mangels Tatbestands wieder entlassen, bis auf einen Mann, der wegen Zigarettenschleichhandels festgenommen wurde. Auf dem Allerheiligenplatz wurden 16 Personen angehalten. Hievon wurde die Rentnerin Emilie P. ..... in Haft genommen, da sie Plünderungsgut bei sich hatte. Eine Haussuchung in ihrer Wohnung förderte größere Mengen von Plünderungsgut, offenbar militärischer Herkunft, zutage".

Sonntag, 14. Oktober 1945

Das hölzerne Provisorium, das sowjetische Pioniere über der gesprengten Friedensbrücke errichtet haben, wird durch einen Brand schwer beschädigt. Pioniere beginnen sofort mit der Reparatur. Das "Neue Österreich" richtet einen "Offenen Brief an die Engländer". Vorher war im Organ der britischen Militärverwaltung ein "Offener Brief an die Wiener" erschienen, in dem es unter anderem hieß: "Wir tun unser Bestes durch die Lieferung von Versorgungsgütern, ihr aber müsst arbeiten, arbeiten, arbeiten!" Was den Arbeitseifer der Wiener betrifft, meint das "Neue Österreich": "Es ist eine unausrottbare Eigentümlichkeit der Arbeiter, dass sie nicht arbeiten wollen, wenn sie nichts zu essen bekommen; ja, es ist sogar in den Naturgesetzen begründet, dass sie nicht arbeiten können, wenn sie nichts essen." Weiter heißt es: "Hätte die Anerkennung, die unsere Regierung braucht und die sie verdient, nicht so lange auf sich warten lassen, dann wären wir heute mit unserer Arbeit schon ein gutes Stück weiter". In Verbindung mit der Ankündigung, dass neue Lebensmittelkarten ausgegeben werden, erscheint eine Liste der Berufe, in denen Schwerarbeit geleistet wird. Sie lautet: "Asphaltierer, Bleilöter, Caissonarbeiter, Eisenbahner: Heizer, Kesselreiniger, Kohlenarbeiter, Oberbauarbeiter (die hauptsächlich Schienen legen), Gießer, Gussputzer, Hafenarbeiter (Magazinlader), Holzfäller, Kanalräumer, Kanal- und Grubenreiniger in Gaswerken, Kesselheizer mit Handbeschickung, Kesselreiniger (heiß), Presser am heißen Metall, Pressluftnieter, Schiffsheizer, Schmelzer, Schmelzofenarbeiter, Schmiede, Schwangere Frauen (vom 4. Monat der Schwangerschaft), Steinbrucharbeiter, Stillende Mütter (bis zu einer Stilldauer von 7 Monaten), Tbc-Krankenpflegerinnen, Tiefbauarbeiter, Totengräber, Transportarbeiter für schwere Güter, Warmnieter". Austria ist in der laufenden Fußballmeisterschaft als einziger Verein der obesten Spielklasse noch unbesiegt.

Montag, 15. Oktober 1945

Am Vorabend der Gründung der UNO-Organisation für Nahrungsmittel und Landwirtschaft (FAO) wird bekanntgegeben, dass zwei Drittel der Menschheit unterernährt sind, obwohl die Landwirtschaft in der Lage wäre, für alle Erdbewohner ausreichend zu sorgen. Nach einer Reuter-Meldung aus Washington sind die Vereinigten Staaten bereit, die provisorische Regierung Österreichs anzuerkennen. Die Postdirektion kündigt an, dass es in Wien bis Ende Oktober 20.000 Telefonanschlüsse geben wird. Statt Fleisch erhält man auf die Lebensmittelkarten Hülsenfrüchte oder Maisgrieß.

Dienstag, 16. Oktober 1945

Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuter ist das britische Kabinett ebenfalls zur Anerkennung der provisorischen Regierung Österreichs bereit. Man geht davon aus, dass sie demnächst vom Alliierten Rat formell ausgesprochen wird, sofern auch Frankreich und die Sowjetunion zustimmen. Heute beginnt in den Trafiken von Groß-Wien eine bis Samstag laufende Aktion zur einmaligen Zigarettenausgabe. Inhaber von Lebensmittelkarten, die das 18. Lebensjahr erreicht haben, erhalten sechs Stück, Arbeiter acht Stück und Schwerarbeiter zehn Stück. Der Preis beträgt einschließlich eines Wiederaufbauzuschlags 6 Pfennig pro Stück. Die Straßenbahnlinien 6 und 18 nehmen den - zum Teil eingeschränkten - Betrieb auf.

Mittwoch, 17. Oktober 1945

Mit der Ausgabe der neuen Lebensmittelkarten kommt es neuerlich zu einer Änderung des Systems. Dazu schreibt das "Neue Österreich" wörtlich: "Die neuen Lebensmittelkarten der Versorgungsperiode vom 21. Oktober bis 17. November, mit deren Ausgabe morgen begonnen wird, werden wieder Groß- und Kleinabschnitte mit Aufdruck der Warenart und Menge haben. Nachdem die Rationssätze festgelegt sind, konnten die Nummernkarten aufgelassen werden". Bereits vorher "gelangt in allen Zonen je Kopf der Verbraucher auf Abschnitt 29 der Lebensmittelkarten ein Viertelliter Essig zur Ausgabe". In einem Bericht über eine Sitzung des Stadtsenats wird unter anderem Bilanz über den Wiederaufbau der Wasserversorgung gezogen. Wörtlich heißt es: "Schwere Schäden haben die Wasserwerke der Stadt Wien und ihr weitverzweigtes Rohrsystem erlitten. Für die Instandsetzung der Anlagen der Wiener Wasserversorgung hat die Gemeinde bereits 1,8 Millionen Reichsmark bereitgestellt. Eine weitere Million wurde für die Behebung der Kriegsschäden am Stadtrohrnetz der Wiener Wasserwerke ausgegeben. In seiner jüngsten Sitzung hat der Stadtsenat neuerlich 900.000 RM für diese Zwecke bewilligt". In den Sportnachrichten schreibt das "Neue Österreich" unter dem Titel "Kaperer gehen um!": "Jetzt sind sie wieder da, die Kaperer, und sie kommen aus einem Lande, in dem derzeit die Verhältnisse auch nicht rosig sind, aus der Tschechoslowakei, aus Brünn. Sie suchen Verbindung mit hochwertigen, vorwiegend jüngeren Fußballspielern, erklären, dass alle Hindernisse überwunden seien oder bei 'ihren Verbindungen' unschwer überwunden werden würden, sie versprechen, wenn auch nicht goldene Berge, so doch Speck, Geselchtes, Mehlspeisen, Wein und Geld, und hoffen damit ans Ziel zu kommen".

Donnerstag, 18. Oktober 1945

Der Kabinettsrat beschließt, unmittelbar nach der formellen Anerkennung der provisorischen Regierung durch die Alliierten initiativ zu werden. Und zwar soll ein Plan entwickelt werden, um Frost, Hunger und Seuchen im bevorstehenden Winter wirkungsvoll zu bekämpfen. Sofortmaßnahmen werden auch zur Lösung der Flüchtlingsprobleme und zur Inbetriebnahme von Schlüsselindustrien ins Auge gefasst. Unterstaatssekretär Gruber bringt vor der Presse die Tendenz der österreichischen Außenpolitik auf die Formel "Österreich sucht Anschluss an die freie Welt". Unter dem Titel "Erfassung der Weinernte" erscheint im "Neuen Österreich" folgende Meldung: "Durch die in den nächsten Tagen erscheinende Verordnung des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft werden 30 Prozent der Weinernte 1945 erfasst und sichergestellt. Die restlichen 70 Prozent bleiben den Weinbautreibenden zur freien Verfügung, ... Von der Erfassung sind jene Weinerzeuger ausgenommen, die nicht mehr als 250 Liter geerntet haben". Der Stadtsenat beschließt die Gründung der Wiener Kinobetriebsgesellschaft. In sie werden alle jene arisierten Lichtspieltheater eingebracht, die von der Gemeinde Wien gegen angemessene Entschädigung der ursprünglichen Eigentümer übernommen wurden. Leon Epp eröffnet in der Johannesgasse das Theater "Die Insel in der Komödie" mit "Onkel Wanja" von Anton Tschechow. Unter den jungen Schauspielern fallen Josef Meinrad und Eva Zilcher auf.

Freitag, 19. Oktober 1945

Nach Berichten an die Regierung herrschte eine "Bedrohliche Ernährungslage in Niederösterreich". Laut "Neuem Österreich" steht "einem Normalverbraucher in Niederösterreich derzeit bei voller Zuteilung der vorgesehenen Lebensmittelmenge nur ein Nährwert von 828 Kalorien täglich (gegenüber 1550 in Wien) zur Verfügung". Bei einem Besuch in Oberösterreich erklärt Staatssekretär Korp unter anderem: "In Wien, und zwar in allen Zonen, ist man noch nicht so weit, dass die offiziellen Rationen zur Gänze angegeben werden können. Wir erwarten uns vom Abbau der Demarkationslinien eine fühlbare Erleichterung, insbesondere aber auch eine wirksame Hilfe durch internationale Institute,..." Auf Beschluss des Stadtsenats beteiligt sich die Gemeinde Wien zu 60 Prozent an der - für den Wiederaufbau des Wurstelpraters gedachten - Praterbetriebsgesellschaft; die restlichen 40 Prozent hält die Wiener Gastgewerbeinnung.

Samstag, 20. Oktober 1945

Staatskanzler Renner wird vom Alliierten Rat nach seiner heutigen Sitzung offiziell davon informiert, dass die Regierungen der vier Besatzungsmächte die provisorische Regierung anerkennen. Somit kann die Regierung nun in ganz Österreich tätig werden, wie sie es bisher nur in der sowjetischen Besatzungszone konnte. Das "Neue Österreich" berichtet über "Rucksack-Taxis": Demnach machen Besitzer von Handwagen und Fuhrwerken ein blühendes Geschäft mit dem Transport von Rucksäcken nach Wien, die sie von Personen übernehmen, die sich am Land mit Lebensmittel eindecken, sich aber am Rückweg nicht abschleppen wollen. Die Alliierte Stadtkommandantur will für die Aufstockung der Wiener Polizei eintreten und die Gemeinde Wien in Fragen der Nahrungsmittelstatistik, des Wohnungswesens usw. beraten.

Sonntag, 21. Oktober 1945

In einem Leitartikel zur Anerkennung Österreichs durch die Alliierten schreibt das "Neue Österreich": "Die Regierung wird, unter der Oberhoheit und Kontrolle der Alliierten, ihre bisher auf die sowjetische Zone beschränkte Machtbefugnis über ganz Österreich ausdehnen. Österreich... hat nicht nur seinen Namen und seine Freiheit zurückgewonnen, es fügt sich nun auch zur staatlichen Einheit zusammen. Der Wille aller Provinzen und aller Parteien wurde berücksichtigt: die vom Volke anerkannte Regierung wird von den Mächten anerkannt". Im Zuge der Vorbereitung der Nationalratswahlen werden die Grenzen zwischen Wien und Niederösterreich neu festgelegt. "Und zwar so", berichtet das "Neue Österreich", "dass 81 Gemeinden, die bisher der (von den Nazi gebildeten) Großgemeinde Wien angehörten, von Wien wieder abgetrennt und Niederösterreich wieder angeschlossen werden sollen. 17 Gemeinden einschließlich des Alberner Hafens, der vor 1938 nicht zu Wien gehörte, verbleiben innerhalb des neuen Wiener Gemeindegebietes. Die bei Wien bleibenden Gemeinden sind folgende: Albern, Alt-Erlaa, Atzgersdorf, Breitenlee, Eßling, Inzersdorf, Kalksburg, Liesing, Mauer (einschließlich Lainzer Tiergarten), Neu-Erlaa, Oberlaa, Rothneusiedl, Rodaun, Siebenhirten, Süßenbrunn, Stammersdorf, Unterlaa". Durch die Fertigstellung der zweiten Fernleitung aus dem Westen und den Anschluss der inneren Bezirke an das Umspannwerk Nord in Floridsdorf hat sich die Stromversorgung Wiens verbessert. Die Stromsparmaßnahmen bleiben aufrecht.

Montag, 22. Oktober 1945

In einer Erklärung macht das Wiener Wohnungsamt alle Haupmieter darauf aufmerksam, "dass im Zuge der Rückführung der evakuierten Wiener sowie infolge der bestehenden Raumnot Untermieten vergeben werden müssen. Es ist verboten, Untermieter mit einem grünen Einweisungsschein - ausgestellt durch das zuständige Untermietreferat - abzuweisen. Einsprüche jeder Art können erst nachher schriftlich eingereicht werden". Am Gürtel gibt es ab heute zwischen Lichtenwerder Platz und Gumpendorfer Straße wieder Straßenbeleuchtung. Weitere Teile des 12. Bezirks werden mit Gas versorgt. Die Ravag startet eine Sendung, in der die Post sowjetischer Kriegsgefangener behandelt wird und Grüße an die Angehörigen vermittelt werden. Österreicher, die bereits eine Identitätskarte besitzen, dürfen im ganzen Land mit der Eisenbahn fahren. An den Grenzen der Besatzungszonen wird allerdings streng kontrolliert, wodurch die Züge ein bis zwei Stunden, oft noch länger aufgehalten werden.

Dienstag, 23. Oktober 1945

In einem Schreiben teilt Marschall Konjew, der sowjetische Oberbefehlshaber in Österreich, Staatskanzler Renner mit, dass die Sowjetunion Österreich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und den Austausch diplomatischer Vertreter vorschlägt. Staatskanzler Renner nennt gegenüber einem Korrespondenten aus den USA drei Phasen für den Aufbau des freien Österreich: 1. Anerkennung der Provisorischen Regierung; 2. Wiederaufbau von Landwirtschaft, Industrie und Handelsbeziehungen; 3. Wiedererlangung der vollen Souveränität und Abzug der Besatzungstruppen. ÖVP-Generalsekretär Hurdes spricht in einer Parteiversammlung von zwei "Herzenswünschen" der Österreicher: 1. Rückkehr der österreichischen Kriegsgefangenen und 2. Rückkehr Südtirols zu Österreich. Anläßlich seines halbjährigen Bestandes erinnert das "Neue Österreich" an die schwierigen Startbedingungen: ".....die geistige Vorbereitung mussten wir selbstverständlich alleine leisten, wir Journalisten allein, ohne all jene Befehle, die sonst in der Zeitungswerkstatt unentbehrlich scheinen, ohne Telephon, Telegraph und Post, ohne Nachschlagwerke und Hilfspersonal, einfach aus uns selbst heraus".

Mittwoch, 24. Oktober 1945

Bei einer Besprechung in der Wiener Handelskammer wird Übereinstimmung erzielt, "dass vorläufig an den gestoppten Preisen grundsätzlich festgehalten werden müsse, um einer unerwünschten Preisdynamik, die sich erfahrungsgemäß zu ungusten der wirtschaftlich Schwachen auszuwirken pflegt, zu vermeiden". Stadtrat Fritsch nimmt im "Neuen Österreich" zu "Aktuellen Wiener Ernährungsproblemen" Stellung. Er sagt unter anderem: "Im Augenblick ist die Herstellung eines einheitlichen Weizenbrotes noch nicht möglich, da infolge Fehlens größerer Vorräte und infolge Transportschwierigkeiten das Mehl von den Bahnhoflagern und Mühlen sofort in die Bäckereien und Brotfabriken gebracht werden muss. Dadurch wird in manchen Bezirken weißes Brot und in anderen hingegen Graubrot ausgegeben. Roggenbrot gibt es nur in geringer Menge.... Wenig erfreulich liegen nach wie vor die Dinge bei der Fleischversorgung. In der englischen Zone gab es im unzureichenden Ausmaß Corned Beef, während die anderen Gebiete ganz leer ausgingen. Dieser Übelstand hatte die meisten Beschwerdebriefe zur Grundlage, da natürlich nichts die Gemüter mehr erregt als ungleiche Behandlung. Leider sind für die nächsten Wochen noch immer keine ausreichenden Fleischanlieferungen zu erwarten.... Die Versorgung mit Milch beschränkt sich nach wie vor auf Kinder und Kranke. Vorläufig müssen die von den Alliierten gelieferten Trockenmilchbestände für die Wintermonate gespeichert werden, da dann die ohnehin geringen Zufuhren aus Niederösterreich ganz entfallen werden. Noch trostloser ist die Gemüseanlieferung, die in Kürze bei Eintritt des Winterwetters nicht einmal für die Versorgung der Krankenhäuser und Kinder reichen wird. Dazu tritt noch die Verschärfung des Obstmangels. Die Alliierten haben bereits die Einfuhren größerer Mengen von Vitamin in Aussicht gestellt, um den bereits akut gewordenen Vitaminmangel zu bekämpfen". Bei Ausspeisungen der Alliierten in den Wiener Schulen wurden in den ersten sechs Wochen 505.544 Mahlzeiten verabreicht. Die nächtliche Ausgangssperre, die ohnedies nicht mehr eingehalten wurde, wird von den alliierten Stadtkommandanten aufgehoben.

Donnerstag, 25. Oktober 1945

Die in Wien tagende 3. Länderkonferenz beschließt eine Resolution an die Alliierten. In ihr heißt es: "Die Länderkonferenz sieht voraus, dass.... unser Land im bevorstehenden Winter durch die dreifache Katastrophe des Hungers, des Frostes und der Seuchen bedroht ist. In der schmerzlichen Erkenntnis, dass dieses unser Volk bei den größten Anstrengungen aller, der Regierung wie der Massen, auf sich allein gestellt, der drohenden Gefahr nicht Herr werden kann, richten die Staatsregierung und die Länderkonferenz an die Regierungen der alliierten Mächte wie an den Alliierten Rat den Appell, leitend und helfend an dem Rettungswerk mitzuwirken und mit der Provisorischen Staatsregierung eine ständige Kooperation der militärischen und zivilen Organe zur Abwehr des Unheils zu organisieren". Das "Neue Österreich" berichtet umfassend und auf Seite 1 über eine Sitzung der Interalliierten Kommandantur über Wiener Probleme. Wörtlich heißt es: "Die Gemeinde Wien hat sich mit der Bitte um Gerätebeistellung bei der Schuttaktion an die alliierten Stellen gewandt. Die Besatzungsmächte sind jedoch einmütig der Meinung, dass auch die verfügbaren Behelfe mangels entsprechender Durchorganisation nicht richtig ausgenützt sind und legen der Stadtverwaltung daher nahe, zuerst Maßnahmen organisatorischer Art zu treffen. ... Das Problem der Stromversorgung bereitet den Besatzungsmächten ernste Sorgen, und wenn der Appell an die Bevölkerung, durch Stromsparen ... das Netz zu entlasten, kein Echo findet, müssen von den Elektrizitätswerken kategorische Maßnahmen ergriffen werden". Die Straßenbahnlinie 17 nimmt den Betrieb vom Bismarkplatz (seit 1949 Hoßplatz) in Floridsdorf über Kagran bis zur Ostbahn in Stadlau auf. Über den Auftritt einer britischen Militärmannschaft auf dem Wackerplatz, in der ehemalige Professionals von Vereinen wie Aston Villa und Blackburn Rowers mitwirkten, berichtet das "Neue Österreich" unter dem bezeichnenden Titel: "Wir haben englische Profis gesehen". Im Börsengebäude wird die erste Nachkriegsmesse eröffnet, die "Export-Musterschau". Die ausgestellten Waren sind für Österreicher nicht käuflich. Trotzdem kommen viele Besucher, die erstaunt feststellen, was in Österreich bereits produziert wird.

Freitag, 26. Oktober 1945

Der ÖGB teilt mit, dass Nationalsozialisten bei Betriebsratswahlen ebenfalls nicht zugelassen sind. Der Stadtsenat billigt außerplanmäßige Ausgaben in der Höhe von 300.000 RM zur Vorbereitung der Nationalrats- und Landtagswahlen. Unter anderem müssen zwei Drittel der erforderlichen Urnen angeschafft werden. Die Wiener Verkehrsbetriebe weisen darauf hin, dass der Straßenbahnverkehr zu Allerheiligen den üblichen Beschränkungen unterworfen ist. Die Straßenbahnlinie 71 wird jedoch, wie gewohnt, bis zum 3. Tor des Zentralfriedhofs geführt. In Teilen der Bezirke 14, 15 und 16 gibt es wieder Straßenbeleuchtung.

Samstag, 27. Oktober 1945

In Deutschland sind 15 Millionen Menschen auf Wanderschaft. General Clark, der Oberkommandierende der USA in Österreich, erklärt in Paris vor der Presse, er halte das Problem der Lebensmittelversorgung Österreichs in diesem Winter für gelöst. Die Bauern in Niederösterreich haben ihre Ablieferungspflicht im Vergleich zum Vorjahr bisher erst zu 14,5 Prozent bei Weizen, 13,5 Prozent bei Roggen und 8,5 Prozent bei Gerste erfüllt; das Kabinett beschließt, dass die sogenannte Mehlkarte für die Vermahlung des Eigenbedarfs erst nach Erfüllung der Ablieferungspflicht ausgehändigt wird.

Sonntag, 28. Oktober 1945

Die Regierung veröffentlicht einen Wahlaufruf, in dem es unter anderem heißt: "Österreicher! Die Provisorische Staatsregierung, die von den Weltmächten anerkannt ist, wirbt um Eure Anerkennung. Versagt sie den Männern nicht, die alle Kräfte des Leibes und des Geistes in den Dienst der Wiederherstellung unseres freien Staates gestellt haben! Zugleich aber bittet sie Euch, dessen bewusst zu sein, dass Ihr mit Eurer Stimme über die Zukunft des ganzen österreichischen Volkes entscheidet. Einig in ihrer Hingabe für unser Vaterland vertreten die drei Parteien alle freiheitlichen Weltanschauungen und politischen Richtungen. Entscheidet Euch für eine derselben! Prüft und wählt! .... Und beweist durch ausnahmslose Wahlbeteiligung, dass das österreichische Volk geschlossen zu seinem Staate steht, zu der freien, unabhängigen demokratischen Republik Österreich!" Nach einem 4:3 Sieg der Vienna über Austria Wien titelt das "Neue Österreich": "Es gibt kein Unbesiegten mehr".

Montag, 29. Oktober 1945

Die Ravag steht ab heute an Werktagen jeweils 15 Minuten abwechselnd den politischen Parteien zur Verfügung. Von Wahlwerbung ist keine Rede; vielmehr "ist es dadurch möglich, dass jeder Österreicher überall die namhaftesten Vertreter der drei demokratischen Parteien direkt hören kann". Die Wahlsendungen beginnen jeweils um 20.20 Uhr.

Dienstag, 30. Oktober 1945

Der Alliierte Rat bestätigt das von Kabinettsrat und Länderkonferenz beschlossene Wahlgesetz und sagt seine Unterstützung bei der Wahlkontrolle zu. Staatssekretär Heinl nimmt gegenüber einer Nachrichtenagentur zum Ausbau der Wasserkraft in Österreich Stellung. Wörtlich führt er aus: "In der nächsten Zeit werden auch die Arbeiten am Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug wieder aufgenommen werden, das die Belastung des Wiener Industriegebietes zu tragen haben wird. Das Donaukraftwerk, das in etwa fünf Jahren fertiggestellt werden soll, wird so viel Strom erzeugen, dass in fünf Jahren Österreich, seine Industrie und sein Verkehr, von Kohle völlig unabhängig sein werden". Gemeinsam mit den Alliierten wird geplant, in Wien 350 beschädigte Gebäude zu sprengen. Nach einem Bericht des Staatsamtes für öffentliche Bauten wurden an folgenden Prunkgebäuden Aufräumgs- und Sicherungsarbeiten (wie Errichtung provisorischer Dächer) durchgeführt: Parlament, Natur- und Kunsthistorisches Museum, Hofburg, Schloss Belvedere, Messepalast und Schloss Schönbrunn. Der Wiederaufbau im engeren Sinn wird kommenden Jahren vorbehalten.

Mittwoch, 31. Oktober 1945

Die Bezüge der Gemeindebediensteten werden erstmals wieder in voller Höhe ausbezahlt. Pensionisten bekommen allerdings nur 80 Prozent ihrer Bezüge, außer Dienst gestellte Nationalsozialisten höchstens 204 Reichsmark. Das Durchschnittseinkommen der Arbeiter und der öffentlich Bediensteten liegt bei 180 Reichsmark im Monat, der Angestellten bei 220 Reichsmark. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Kilo Brot 40 Reichsmark, ein Kilo Schmalz 1000 Reichsmark. Ungarische und bulgarische Zigaretten gibt es um eine Reichsmark pro Stück, amerikanische Zigaretten kosten 5 bis 10 Reichsmark pro Stück. Ab 11 Uhr werden die Bezirke 12, 13 und 14 zur Gänze mit Gas beliefert. Die Wiener Landesregierung beschließt, dass der am 25. November zu wählende Landtag und Gemeinderat 100 Mitglieder haben wird. Die Mandate werden ebenso in sieben Wahlkreisen vergeben wie die Mandate zum Nationalrat. Der Feuerwehrmann Josef Holaubek wird zum Branddirektor für Wien bestellt. Die Alliierten ordnen für die Wienerinnen und Wiener ein obligate Typhus-Impfung an.