Historischer Rückblick aus dem Jahr 1945

Zusammenfassungen von Meldungen der Rathauskorrespondenz

September

Samstag, 1. September 1945

In Tirol ermöglichen die französischen Besatzungstruppen den Bezug von Rauchwaren. Der Bürgermeister von Salzburg verhängt wegen "Überfüllung" der Stadt ein Zuzugsverbot. Sämtliche Südtiroler Seelsorger unterzeichnen eine Petition an die Alliierten für die Rückkehr Südtirols zu Österreichs. Die Aufteilung des Landes in vier Besatzungszonen führt zu einer Zersplitterung des Postdienstes. Das "Neue Österreich" berichtet: "Gegenwärtig gelten in den russisch besetzten Teilen die bekannten Marken mit dem Staatswappen, deren Herstellung übrigens die Staatsdruckerei infolge Papierknappheit und des Fehlens der am besten geeigneten Farbstoffe beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, im übrigen Österreich sind zur Zeit von den Alliierten ausgegebene, in den Vereinigten Staaten gedruckte Marken in Verwendung". In Wien erscheint der "Erste Aufruf zur Gemeinschaftsarbeit". Herangezogen werden zunächst für vier Wochen Mitglieder der Nazi-Partei (Männer von 15 bis 65 und Frauen von 15 bis 55 Jahren) und Jugendliche (Männer von 15 bis 30 und Frauen von 16 bis 30 Jahren). In diesem Zeitraum haben Beschäftigungslose 60 Stunden und Werktätige 16 Stunden (Nazi jeweils das Doppelte) und Schüler 40 Stunden Gemeinschaftsarbeit zu leisten. Gearbeitet wird in Halbtagsschichten; Entlohnung gibt es keine. Das sowjetische Verwaltungspersonal wird aus den Zonen der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Wien abgezogen. Die vier Besatzungsmächte übernehmen die Lebensmittelversorgung "im gleichen Verhältnis zur Kopfzahl der Bevölkerung in den einzelnen Zonen".

Sonntag, 2. September 1945

Mit der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch Japan auf dem US-Schlachtschiff Missouri endet offiziell der Zweite Weltkrieg. Von einer Arbeitskonferenz unter Beteiligung von Vertrauensleuten aus allen Fachgewerkschaften richtet der ÖGB im Namen der Arbeiterschaft einen Appell an die "Regierungen der Vereinten Nationen". Darin heißt es wörtlich: "Österreichs Arbeiterschaft ist beseelt vom Hass gegen den Faschismus in allen seinen Formen. Sie wird mit ganzer Kraft mitarbeiten, um Österreich zu einem achtbaren Mitglied einer künftigen Gesellschaft der freien Völker zu machen. Aber vorerst braucht sie dringendst Hilfe der Vereinten Nationen, soll nicht ein beträchtlicher Teil des österreichischen Volkes, besonders seine Jugend, zugrundegehen." Kardinal Dr. Innitzer weist alle Pfarrämter an, sich auf religiöse und caritative Aufgaben zu beschränken und jede politischen Aktivitäten zu unterlassen. - Ergebnisse der ersten Runde der Fußball-Liga: Sportklub - Rapid Oberlaa 7:0, Austria - FC Wien 10:2, Rapid - Ostbahn XI 9:1, WAC - Vienna 4:2, FAC - Helfort 4:1, Wacker - Amira 2:0.

Montag, 3. September 1945

Ab nun werden in Wien die Lebensmittel aus den Beständen der jeweils zuständigen Besatzungsmacht ausgegeben. In Verbindung damit müssen die Lebensmittelkarten in Geschäften des jeweiligen Wohnbezirks eingelöst werden. Die Rationen bleiben vorläufig unverändert. Diese Woche ist für Normalverbraucher folgende Zuteilung vorgesehen: 280 Gramm Hülsenfrüchte und 50 Gramm Speiseöl. Die Gemeinschaftsarbeit beginnt. Tags darauf berichtet das "Neue Österreich" über mangelnde Einsatzbereitschaft und Organisation. Wörtlich heißt es: "Der erste Tag war eine Art Generalprobe. Die kommenden Tage müssen die Erfahrungen des ersten Tages berücksichtigen und seine Leistungen überbieten." Das Wiener Handelsgericht und der Wiener Tierschutzverein arbeiten wieder.

Dienstag, 4. September 1945

Der Oberkommandierende der Vereinigten Staaten in Österreich General Clark hebt das Fraternisierungsverbot für die US-Truppen auf. Es gilt nurmehr gegenüber Nazi. Nach einer Vereinbarung zwischen Frankreich, der Schweiz und den französischen Besatzungsbehörden in Vorarlberg und Tirol nimmt der Arlberg-Express den Betrieb wieder auf; er verkehrt dreimal wöchentlich zwischen Paris und Innsbruck. Nach einer Mitteilung des Staatsamtes für Inneres "werden in den nächsten Tagen Niederösterreicher, die sich derzeit in Oberösterreich und Salzburg aufhalten, geschlossen in Sonderzügen der Eisenbahn nach Niederösterreich, und zwar in die Zielstationen St. Pölten, Wiener Neustadt, Horn, Melk und Gänserndorf rückgeführt." Oberösterreichern und Salzburgern wird angeboten, die Leergarnituren für die Rückkehr in ihre Heimatländer zu nützen. In Wien kommt laut "Neues Österreich" "die Säuberungsmaschine auf Touren". Dennoch ist Sand im Getriebe: Im 9. Bezirk melden sich nur einige hundert von 4.000 Nazi zur Arbeit. Im 17. Bezirk werden 500 Krankmeldungen registriert. Im 2. Bezirk will der Bezirksvorsteher nur an diejenigen Lebensmittelkarten für Oktober ausgeben lassen, die einen Arbeitsschein vorlegen können.

Mittwoch, 5. September 1945

Die Heimkehr von zehntausenden Kriegsgefangenen steht bevor. Und zwar sind Transporte aus den USA und Kanada ebenso angekündigt wie die Freilassung von Österreichern durch die französische und sowjetische Armee. Darunter befinden sich auch rund 30.000 Kriegsgefangene aus dem Landesinneren der Sowjetunion, wie Staatskanzler Renner im Kabinettsrat mitteilt. Die provisorische Regierung beschließt einen Appell an die Alliierten, eine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirols abzuhalten. Die neuen Brotpreise lauten folgendermaßen: 1 Kilogramm Roggenbrot 34 Pfennig und 1 Kilogramm Weizenbrot 56 Pfennig Stadtrat Fritsch unterstreicht, dass die Versorgung der Wiener Bevölkerung in allen vier Besatzungszonen einheitlich geregelt werden soll. Die Regierung fasst einen Grundsatzbeschluss über die Verstaatlichung des Bergbaus, der Energiewirtschaft, der Erdölproduktion, der Eisenhüttten-, Starkstrom, Lokomotiv- und Waggonindustrie.

Donnerstag, 6. September 1945

"Mittagessen für 100.000 Schulkinder - Große Ausspeisungsaktion für Wien ab 17. September geplant". Diese Meldung ist dem "Neuen Österreich" einen Aufmacher wert. Durch einen Kraftakt verschiedener Behörden soll künftig sämtlichen Schülern Wiens täglich eine warme Mahlzeit gesichert werden. Mit der Ausführung wurden die Wiener Öffentlichen Küchen (WÖK) betraut. Für Kleinkinder gibt es als Sonderzuteilung 10 Deka Sauerkraut, für Schwerstarbeiter eine Packung amerikanischer "Seenotverpflegung" (10 Keks, etwas Salz, Tee, Zucker, Malaria-Pillen, 2 Kaugummi, 5 Streichhölzer). Der Stadtsenat stimmt dem Antrag von Stadtrat Matejka zu, fünf neue Städtische Büchereien zu eröffnen. Nach Meinung des "Neuen Österreich" sind "am vierten Tag der Gemeinschaftsarbeit" die "Anlaufschwierigkeiten überwunden" und hat sich der "organisatorische Apparat in den Bezirken eingelaufen".

Freitag, 7. September 1945

Unter dem Titel "Die Lebensmittelversorgung Wiens - Ausgabe von Mehl, Hülsenfrüchten und Öl" schreibt das "Neue Österreich": "Fast in allen Bezirken ist Weißgebäck zu haben, nach vielen Jahren das erste Mal wieder!"...(Es)kann gesagt werden, dass die Lebensmittelversorgung der Stadt Wien eine gewisse Entspannung zeigt und dass bei einigermaßen gutem Zusammenwirken aller interessierten Kreise in den nächsten Wochen die Krise endgültig überwunden sein wird." In der amerikanischen Besatzungszone werden Kaffee und Zucker - beides ausgesprochene Raritäten - ausgegeben. Am "fünften Tag der Septemberaktion" kritisiert das Blatt, "dass von den aufgerufenen und zur Arbeit eingeteilten Personen jeweils nur ein Teil der Aufforderung Folge leistet".

Samstag, 8. September 1945

Vor dem Volksgericht gibt es den ersten Freispruch. Er kommt einem 63jährigen Wiener zugute, der zwar vor der sogenannten Verbotszeit (1933 bis 1938) der NSDAP beigetreten ist, in dieser Periode aber seine Aktivitäten und Betragszahlungen eingestellt hat. Nach dem Anschluss setzte er dennoch die Anerkennung als "Illegaler" durch. Der Gerichtshof folgte offenkundig der Argumentation des Angeklagten, es handle sich bei ihm um keinen "Illegalen" im Sinne des Verbotsgesetzes. Das "Neue Österreich" würdigt in diesem Zusammenhang die Unabhängigeit des Volksgerichts und bemerkt: "Es mag vielleicht ein Fehler des Gesetzes sein, dass es die Mindeststrafe mit dem hohen Strafsatz von 10 Jahren festgesetzt hat,..." Für Säuglinge bis zu einem Jahr wird bis auf weiteres die Milchration auf drei Viertel Liter pro Tag erhöht. Die amerikanische Militärregierung ordnet neuerlich an, dass in den von ihr verwalteten Bezirken Lebensmittel nur an Personen abgegeben werden dürfen, die in der amerikanischen Zone wohnen. Die Lebensmittelkarten müssen zu Prüfzwecken nicht nur mit dem Namen sondern auch mit der Adresse der Bezugsberechtigten versehen werden. Unter dem Titel "Markenfreies, ausreichendes Mittagessen lockt...." verweist das "Neue Österreich" darauf, dass die US-Besatzungsbehörden österreichische Arbeiter für den Flughafenbau und Holzschlägerungen sucht.

Sonntag, 9. September 1945

Die Generaldirektion der Staatsbahnen plant im Einvernehmen mit den Besatzungsbehörden noch im September die Wiederaufnahme des Fernzugsverkehrs. Vorgesehen ist, den Arlberg-Express bis Wien zu führen. An den Tagen, wo dieser Zug nicht verkehrt, soll eine Schnellzugsverbindung von Wien nach Innsbruck und retour eingerichtet werden. An ähnliche Verbindungen ist zwischen Wien und Villach bzw. Graz gedacht. Staatssekretär Figl wurde zum "Reichsparteiobmann" der ÖVP gewählt. Unter dem Titel "Wochenende beim Großreinemachen" berichtet das "Neue Österreich": "Zahlreiche Arbeiter, Angestellte und Beamte, die während der Woche ihrem Beruf nachgehen, haben sich zum Wochenende zur Ableistung ihrer Arbeitspflicht gemeldet. ...Man konnte es ihnen ansehen, dass sie die Arbeit kaum als Belastung auffassten, eher schon als Sonntagssport." Das Staatsamt für Handel will für eine zentrale Fremdenverkehrswerbung sorgen. Der Kulturbetrieb spiegelt die Besatzungslage in Wien wieder. Das Angebot laut "Neuem Österreich": "Wiener Uraufführung eines amerikanischen Dichters", "Slawisches Konzert in Wien" und "Pariser Volksstück im Burgtheater".

Montag, 10. September 1945

500 Vertreter der Bauern in der sowjetischen Besatzungszone tagen in Wien und formulieren einen Appell, in dem es unter anderem heißt: "Der Mangel an Pferden, Nutz-und Zuchtvieh, Schweinen, Geflügel, Saatgut, an Traktoren, landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten ist so groß, dass nur rasche und ausgiebige Hilfe Wandel schaffen kann. Der kommende Aufbau und damit die Ernte 1946 ist nur dann gewährleistet, wenn rasche Hilfe gebracht wird". Seit heute verkehren die Straßenbahnlinien 38, 39, 41, 46 und 49, die bisher nur bis zum Gürtel geführt wurden, wieder bis zum Ring. Dadurch soll die Stadtbahn zur Schonung des Wagenparks entlastet werden. Zum Start der Mittelschulen sendet Radio Wien zwischen 10 und 10.30 Uhr eine Rede von Staatssekretär Fischer zum Thema "Die neue österreichische Schule". Sie wird in die Klassenräume übertragen. Kaisermühlen wird ab heute unbeschränkt (ohne Sperrzeiten) mit Gas beliefert. Arbeiterkammer Wien und ÖGB geben bekannt, dass am Dienstag und Donnerstag dieser und der nächsten Woche der Parteienverkehr unterbleibt, weil Angestellte und Funktionäre an den Aufräumearbeiten der Gemeinde Wien mitwirken.

Dienstag, 11. September 1945

Der Alliierte Kontrollrat, den die Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen in Österreich bilden, tritt im Hotel Imperial unter dem Vorsitz von Marschall Konjew zu seiner ersten Sitzung zusammen. Vereinbart wird, den Vorsitz monatlich in der Reihenfolge USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion zu wechseln und jeweils am 10., 20. und 30. eines Monats zu tagen. Für Wien wird eine Interalliierte Kommandantur eingerichtet, die aus den Stadtkommandanten der vier Mächte besteht. Der Kontrollrat betrachtet es als vordringliche Aufgaben, die wirtschaftliche Einheit des Landes wieder herzustellen, den unbehinderten Verkehr zwischen den Besatzungszonen zu gestatten, die Versorgung der Bevölkerung in die Hand zu nehmen und Vorbereitungen für Wahlen zu treffen. In einem "Aufruf an das österreichische Volk" unterstreicht der Rat, dass er "die oberste Macht in Österreich in Fragen, die Österreich als Ganzes betreffen", übernommen hat, während "jeder Oberbefehlshaber die volle Macht innerhalb des Gebietes ausübt, das von den Streitkräften seiner Nation besetzt ist". Wörtlich heißt es: "Die dringendste Aufgabe ist die Wiedervereinigung und der wirtschaftliche Wiederaufbau des Landes sowie die Beseitigung der Kriegsfolgen und der Hitlermisswirtschaft und jedes deutschen Einflusses auf das gesamte Leben Österreichs... Der Wiederaufbau des freien, unabhängigen und demokratischen Österreich muss Sache des österreichischen Volkes selbst werden!" Die Preise für Milch und Molkereiprodukte werden neu festgelegt. Und zwar kosten ab nun 1 Liter Vollmilch 36 Pfg., 1 Liter Magermilch 20 Pfg., 1 Kilogramm Butter 4,80 RM und 1 Kilogramm Topfen 1 RM. In Graz werden Festwochen eröffnet.

Mittwoch, 12. September 1945

In allen größeren Gemeinden Tirols werden dieser Tage Kundgebungen für die Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich abgehalten. Die Aktivitäten stehen mit der seit heute in London tagenden Konferenz der alliierten Außenminister in Zusammenhang, bei der auch ein Friedensvertrag für Italien verhandelt wird. Zur ersten Tagung des Alliierten Kontrollrats in Wien wird ergänzend mitgeteilt, dass bei dieser Gelegenheit die Erhöhung der Lebensmittelnormen für die Wiener Bevölkerung per 23. September angekündigt wurde. Auf Vorschlag der USA soll die tägliche Kalorienzahl auf 1550 pro Tag festgesetzt werden. Für Schwerarbeiter wird sie fast das Doppelte betragen. Dazu bemerkt das "Neue Österreich": "Die Kalorienmenge beträgt derzeit bekanntlich nur 900, blieb aber in der jüngsten Zeit meist darunter." Der sowjetische Ortskommandant von Wien beauftragt den Polizeipräsidenten, dafür zu sorgen, dass bis 15. September sämtliche Kraftwagen und bis 1. Oktober sämtliche Motor- und Fahrräder registriert werden. Fahrzeuge, für die nach diesem Zeitpunkt keine entsprechende Bescheinigung präsentiert werden kann, werden aus dem Verkehr gezogen und der Gemeinde Wien übergeben.

Donnerstag, 13. September 1945

"Zur alliierten Verwaltung Wiens" schreibt das "Neue Österreich", aus der Einteilung der Besatzungszonen gehe hervor, "dass die Bezirke I bis XXI unter die Kontrolle der Interalliierten Kommandantur kommen". Auf die Bezirke XXII bis XXVI, die gegenwärtig der Gemeinde Wien unterstehen und zu denen selbständige Orte wie Mödling oder Brunn am Gebirge zählen, trifft das hingegen nicht zu. Im Rahmen der Kommandantur wird eine Reihe von technischen Stäben eingerichtet, die Ressorts wie Finanzen, Schulwesen oder Sicherheit umfassen. Meldungen des Tages zur Lage in Wien lauten: "Gründung eines Verbandes der KZ-Häftlinge", "Im Oktober teilweise Straßenbeleuchtung", "Petroleum für die Haushalte". Zur "Versorgungslage Wiens" heißt es: "Große Schwierigkeiten bereitet der Stadtverwaltung die Zoneneinteilung, durch die die gleichmäßige und rechtzeitige Ausgabe der Lebensmittel beträchtlich erschwert wird. Die Brotversorgung war dadurch gefährdet und unliebsames Anstellen vor den Bäckerläden die Folge. Die Wiener Bevölkerung begrüßte mit großer Begeisterung das in den Zonen der westlichen Alliierten ausgegebene Weißbrot, während in der russischen Zone wie bisher dunkles Brot ausgegeben werden musste,. Allerdings ist auch hier eine wesentliche Besserung eingetreten, da ab 3. September das Brotgetreide zu 86 Prozent gegenüber bisher 95 Prozent ausgemahlen wird. Dadurch sind nach Verbackung der alten Vorräte eine bedeutende Verbesserung des Mehls und damit des Brotes erreicht....In Kürze kommt der als unrecht empfundene Unterschied zwischen der Brotqualität der verschiedenen Zonen zum Verschwinden!"

Freitag, 14. September 1945

Die provisorische Regierung veröffentlicht eine Stellungnahme zum Aufruf des Alliierten Kontrollrates an die österreichische Bevölkerung. In der Erklärung heißt es: "Das österreichische Volk ist von tiefstem Dank erfüllt für die anerkennenden Worte des Aufrufes. Es wird seine Weisungen befolgen in der doppelten Erkenntnis, dass sie ihm zum unmittelbaren Wohle gereichen und zugleich den Weg zur Rückkehr in die Gemeinschaft der freien demokratischen Nationen weisen". Aus New York wird gemeldet, dass der Vertreter Großbritanniens in der ersten Sitzung des Alliierten Rates gegen die Anerkennung der provisorischen Regierung für ganz Österreich aufgetreten ist, weil ihre Zusammensetzung nicht ausreichend repräsentativ sei. Der Alliierte Kontrollrat veröffentlicht den einstimmigen Beschluss, dass die Tätigkeit der drei demokratischen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ in ganz Österreich erlaubt wird.

Samstag, 15. September 1945

Gegenüber ausländischen Medien äußert Staatskanzler Renner die Absicht, die Regierung umzubilden, um sie repräsentativ für ganz Österreich zu machen. Gleichzeitig wird die Einberufung einer Länderkonferenz für 24. September nach Wien bekannt gegeben, bei der es zu einer Aussprache zwischen Regierung und Ländervertretern kommen soll. Am Rande der Außenministerkonferenz in London ist davon die Rede, dass die ersten freien Wahlen in Österreich Anfang Dezember stattfinden könnten. Das in Zistersdorf geförderte Erdöl soll zwischen Österreich und der Sowjetunion geteilt werden. Die Interalliierte Kommandantur wird ihren Sitz im Justizpalast haben. Vor ihrer ersten Tagung am Montag wird bekannt, dass die Verteilung der Lebensmittel in der Hand der Zivilverwaltung bleiben soll und die Kommandantur nur Kontrollrechte beansprucht. In Mittersill (Salzburg) wird der Komponist Anton von Webern von einem amerikanischen Soldaten unter ungeklärten Umständen erschossen. Webern war 1922-34 Leiter der Wiener Arbeiter-Symphoniekonzerte und des Arbeiter-Singvereins, in der Nazizeit waren seine Werke verboten.

Sonntag, 16. September 1945

Das "Neue Österreich" macht mit der Meldung auf: "Alliierte spenden Lebensmittel für Schulkinder". Wörtlich heißt es: "Aus General Mark W. Clarks Hauptquartier wird mitgeteilt, dass ab Montag 95.000 hungrige Wiener Schulkinder täglich ein warmes Mittagessen bekommen werden." Zu diesem Zweck wurden bereits 25 Tonnen Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Sie werden in acht Großküchen verarbeitet; das Essen soll ohne Marken an 100 Schulen verteilt werden. Der zusätzliche Nährwert einer derartigen Mahlzeit beträgt 385 Kalorien. Im Radio kündigt Stadtrat Fritsch eine "Wesentliche Erhöhung der Wiener Rationen" an. Ab 23. September soll "die tägliche Kalorienmenge für Schwerarbeiter von 1.620 auf 3.000, die der Arbeiter von 1.315 auf 2.250, die der Angestellten von 970 auf 1.750 und die der Normalverbraucher von 806 auf 1.550 erhöht werden". Um Blutspender zu gewinnen, locken die Krankenhäuser laut "Neuem Österreich" mit "ansehnlichen Entschädigungen". "Man erhält für die Spende von 300 Kubikzentimeter Blut 50 RM, von 400 Kubikzentimeter 65 RM und von 500 Kubikzentimeter 80 RM. Die Naturalabgaben bestehen in einem besonders kräftigen Mittagessen (Suppe, Hauptspeise, Brot), 500 Gramm Brot, einem halben Liter Milch und 250 Gramm Wurst oder Fleisch."

Montag, 17. September 1945

Der Alliierte Kontrollrat tritt im Auftrag der Londoner Außenministerkonferenz zu einer Sondersitzung zusammen, um Lösungen für die Ernährungsprobleme Österreichs zu beraten. Die Interalliierte Kommandantur für Wien nimmt ihre Arbeit im Justizpalast auf. Die Mehrzahl der Wiener Schulen nimmt den Unterricht auf. Dabei wird erstmals auch das versprochene Mittagessen verteilt, das in der Regel aus einer Suppe mit Einlage und einem Stück Brot oder Kuchen besteht.

Dienstag, 18. September 1945

Nach einem Bericht aus den USA muss Europa im kommenden Jahr mindestens 100 bis 120 Millionen Tonnen Lebensmittel importieren, um die Folgen der jahrelangen Unterernährung zu überwinden. Gegenwärtig müssen mindestens 100 Millionen Europäer von Rationen leben, die bedeutend unter den Friedessätzen liegen. Die Hilfs- und Wiederaufbauorganisation der Vereinten Nationen UNRRA strebt Ernährungssätze von 2.600 Kalorien an, befürchtet aber nur 2.000 Kalorien gewährleisten zu können. Das Zentralernährungsamt in Wien untersagt jeden "privaten Kartoffelverkehr". Wörtlich heißt es in einer Erklärung: "Alle greifbaren Mengen von Speisekartofflen müssen für die Bevölkerung sichergestellt werden. Es geht nicht an, dass einige wenige auf Grund guter Verbindungen sich mit großen Mengen von Kartoffeln eindecken und dadurch die allgemeine Versorgung unmöglich machen. In Hinkunft wird daher jeder Kartoffeltransport, der nicht von einer zuständigen Stelle veranlasst ist, angehalten und die Ware beschlagnahmt werden." Es gibt wieder Trabrennen in der Krieau. Erstmals erscheint die Tageszeitung "Weltpresse" als Organ der britischen Besatzungsmacht. In Salzburg tagen die Vertreter der westlichen und südlichen Bundesländer. Sie formulieren, unter welchen Bedingungen sie die Regierung Renner anerkennen können. Sie schlagen vor, dass Salzburg die Hauptstadt von Österreich wird.

Mittwoch, 19. September 1945

Die Ernährungsfrage steht weiter im Mittelpunkt des öffentlichen und privaten Interesses. Dazu erscheinen in der Presse folgende Meldungen: "USA können Haupterfordernisse Europas decken". Fraglich ist jedoch, ob diese Hilfe ausreicht, um einen Winter ohne Not zu sichern. "Welternährungskonferenz in London". Dabei wird ein Manko an Lebensmitteln registriert, das keine sofortige Auffettung von Hungerrationen zulässt. "Glückliches Dänemark!" Das Land weist einen Fleischüberschuss von 3000 bis 4000 Tonnen pro Woche auf; der Export wird vom Mangel an Transportmitteln behindert. "Aufhebung der Brotrationierung in Frankreich". Diese Maßnahme wird für Anfang November angekündigt; gleichzeitig wird eine bessere Fleischversorgung in Aussicht gestellt. - Die Ausgangssperre in Wien wird mit sofortiger Wirkung auf 24 bis 5 Uhr verkürzt. Bei der Neuordnung der Lebensmittelversorgung in Wien ab 23. September ist vorgesehen, dass die Verbraucher in den Bezirksstellen einheitliche Grundkarten erhalten und die zusätzlichen Bezugsscheine für Schwerarbeiter usw. in den Betrieben ausgegeben werden. Die Linie 331 verkehrt wieder, und zwar als Verlängerung der Linie 31 bis Stammersdorf. Die Linie 43 wird vom Gürtel bis zur Schottengasse verlängert. Mit dem Rapidler Edi Bauer wird ein "Modellfußballer als Verbandskapitän" eingesetzt.

Donnerstag, 20. September 1945

Nach Meinung von Experten fehlen in Europa eine Million Güterwagen. Das ungelöste Transportproblem erschwert die Lebensmittelversorgung. Der Alliierte Rat billigt den Plan der provisorischen Regierung, am 24. September eine Länderkonferenz einzuberufen. Die amerikanischen Besatzungsbehörden verfügen einen Lohnstopp und die Arbeitspflicht. Löhne und Gehälter werden auf dem Stand vom 1. Mai 1945 eingefroren. Erhöhungen der Bezüge sind nur mit ausdrücklicher Genehmigung des US-Hauptquartiers zulässig. Personen zwischen 16 und 60 Jahren müssen sich registrieren lassen und werden aufgefordert, sich zur Arbeit zu melden. Die Dauer der normalen Arbeitswoche soll 48 Stunden betragen. Die Ausgabe von Lebensmittelkarten für die nächste Versorgungsperiode von 23. September bis 20. Oktober beginnt ab sofort. Dazu wird amtlich mitgeteilt: "Neben der Brotkarte erhält jeder Verbraucher eine Lebensmittelkarte, die nur mit Nummern versehen ist.... Die Waren, die auf die Lebensmittelkarten zur Ausgabe gelangen sollen, werden jeweils wöchentlich auf Nummern dieser Karten aufgerufen. Die Annahme von losen Kartenabschnitten ist verboten". Aus Oberösterreich kehren 850 Wiener Kinder zurück, die größtenteils im Sommer 1944 verschickt wurden, als die Luftangriffe ständig zunahmen. Das "Neue Österreich" fragt: "Was wird ein Viertel Wein kosten?" Und antwortet: "In einfachen Gaststätten wird Wein mittlerer Qualität pro Viertel zirka RM 1,- bis RM 1,50 kosten."

Freitag, 21. September 1945

Die amtliche "Wiener Zeitung" erscheint wieder, Nummer 1 des 238. Jahrgangs. In Prag wurde in Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern vereinbart, dass Österreich für den Export von 15.000 Tonnen Rohöl aus der Tschechoslowakei 43.200 Tonnen Hüttenkoks erhält. Dadurch werden die Wiener Gaswerke in die Lage versetzt, die Gaserzeugung wieder aufzunehmen und ganz Wien eingeschränkt mit Gas zu versorgen. Laut Rathaus-Korrespondenz wurden neue Tagesrationen für die nächste Versorgungsperiode festgelegt. Sie betragen beispielsweise bei Brot für Schwerarbeiter 700 g, Arbeiter 500 g, Angestellte sowie Normalverbraucher 400 g, Kinder bis 3 Jahre 100 g, Kinder bis 6 Jahre 150 und Kinder bis 12 Jahre 250 g, bei Fleisch Schwerarbeiter 100 g, Arbeiter 80 g, Angestellte 70 g, Normalverbraucher 60 g, Kinder bis 3 Jahre 25 g, Kinder bis 6 Jahre 30 g und Kinder bis 12 Jahre 50 g, bei Fett Schwerarbeiter 40 g, Arbeiter sowie Angestellte 30 g, Normalverbraucher sowie Kinder von 3 bis 12 Jahren 20 g und Kinder bis 3 Jahre 15 g, bei Hülsenfrüchten Schwerarbeiter 135 g, Arbeiter 100 g, Angestellte 50 g, Normalverbraucher 30 g, Kinder bis 3 Jahre 30 g, Kinder 12 Jahre 40 g oder bei Zucker für Schwerarbeiter 25 g, Arbeiter 20 g, Angestellte sowie Normalverbraucher 15 g und alle drei Kinderkategorien 20 g. Die Generaldirektion der Staatsbahnen teilt mit, dass wegen der stockenden Kohlenzufuhr bis auf weiteres auf den meisten Strecken pro Tag nur ein Zugpaar geführt werden kann.

Samstag, 22. September 1945

Am Westbahnhof kommt der erste Transport rückgeführter Österreicher aus Berlin an. Gegenüber einer Nachrichtenagentur erklärt Staatskanzler Renner, es sei der einhellige Wunsch aller Parteien die ersten Wahlen im freien Österreich sobald wie möglich durchzuführen. Zunächst sollen nur Landtags- und Nationalratswahlen nach den Bestimmungen der österreichischen Verfassung aus dem Jahr 1929 durchgeführt werden. Gemeinderatswahlen werden zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Nach einer Erklärung von Stadtrat Speiser ist es unter Umständen möglich, "in der zweiten Hälfte Oktober die Gasversorgung Wiens zu erweitern". Die Ausdehnung der Versorgung soll schrittweise erfolgen und hängt von der Wiederherstellung des Leitungssystems ab. Statt Fleisch gibt es fallweise Erbsen in der doppelten Menge (meist mit Würmern und Käfern), statt Fett die gleiche Menge Trockenei.

Sonntag, 23. September 1945

Das "Neue Österreich" meldet, dass die Regierung demnächst die Frage der staatlichen Leitung der Energiewirtschaft erörtern wird. In diesem Zusammenhang sei der bereits gefasste Beschluss zu sehen, das Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug als staatliches Projekt zu betreiben. Unter anderem erscheinen folgende Lebensmittelaufrufe: "In der kommenden Woche wird in der amerikanischen Zone auf die neuen Lebensmittelkarten aufgerufen:

  1. Auf Abschnitt 51 - 150 Gramm Hülsenfrüchte, auf Abschnitt 52 30 Gramm Schweinefett für alle Altersstufen.
  2. Hülsenfrüchte auf Abschnitt 1 - 60 Gramm für Kinder bis 3 Jahre und alle anderen Personen über 12 Jahre, 30 Gramm für Kinder bis 6 Jahre und 200 Gramm für Kinder bis 12 Jahre. Schweinefett auf Abschnitt 2 - 75 Gramm für Kinder bis 3 Jahre und 110 Gramm für alle übrigen Altersstufen".

Wegen der Verlängerung der Ausgehzeiten (bis 24 Uhr) werden die Betriebszeiten der Stadtbahn und der wichtigsten Straßenbahnlinien verlängert. Probeweise werden zunächst Intervalle von 15 Minuten bis 21.30 und von 30 Minuten bis 22.30 Uhr eingeführt. Die Generaldirektion der Staatsbahnen gibt bekannt, wer Eisenbahn fahren darf:

  1. Arbeiter, Angestellte und Schüler mit Zeitkarten,
  2. Bedienstete von Behörden mit Dienstaufträgen sowie Angehörige von Firmen nach Prüfung des Reisezwecks durch den Bahnhofsvorstand.
  3. Erntearbeiter mit entsprechenden Papieren.
  4. Heimkehrende Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge.
  5. Personen in Krankenbehandlung bei auswärtigen Fachärzten oder Spitälern.

Montag, 24. September 1945

Im historischen Sitzungssaal des Niederösterreichischen Landhauses, "vor dessen Front", wie das "Neue Österreich" schreibt, "rot-weiß-rote und blau-gelbe Fahnen wehen", kommen um 18 Uhr die Vertreter der österreichischen Bundesländer gemeinsam mit den Mitgliedern der provisorischen Regierung zur ersten Länderkonferenz zusammen. Die Teilnehmer werden von Landeshauptmann Figl begrüßt. Staatskanzler Renner sagt in seiner Eröffnungsrede zur Aufgabe der Konferenz: "Zugleich mit dem ersten Schritt zur eigenen Staatlichkeit die Einheit der Bundesländer wiederherzustellen, war uns leider nicht vergönnt; dieses abschließende Werk soll mit dieser Länderkonferenz begonnen werden, diese Einheit anzubahnen und möglichst voranzutreiben, ist die große Aufgabe, die Ihnen gestellt ist." Über den Charakter der provisorischen Regierung sagt Renner: "Unser Kabinett stellt eine Regierungsform dar, welche wir unter uns als Vereinbarungsregierung zu bezeichnen pflegen. Das Wort besagt: Keine Maßregel kann gegen den ernsten Einspruch eines der Partner ergriffen werden... da wir uns ferner als bloße Übergangsregierung bezeichnen und betätigen, haben wir selbst jede grundsätzliche Maßregel ausgeschlossen und weitreichende Entschließungen der kommenden Volksvertretung vorbehalten." Zur Frage von Wahlen sagt Renner: "...auch über die Aufrufung des Volkes zu demokratischen Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen wird die Länderkonferenz ihr Gutachten zu erstatten haben.....Wenn alle Termine eingehalten werden, können die Neuwahlen in der zweiten Novemberhälfte und spätestens Anfang Dezember abgehalten werden."

Dienstag, 25. September 1945

Reuter berichtet aus London, dass "britische Ernährungsfachleute Vorbereitungen getroffen haben, um die Auswirkungen einer größeren Hungersnot zu vermindern, von der Europa während der kommenden Monate bedroht sein wird. Trotzdem werden nach ihrer Meinung noch etwa drei Millionen Menschen sterben und Millionen andere an schwerer Unterernährung leiden". Im Niederösterreichischen Landhaus tritt die Länderkonferenz um 9 Uhr erneut zusammen. Nun auch unter der Beteiligung der Vertreter aus den westlichsten Bundesländern, die erst nach einer durch Schlechtwetter erschwerten Reise in der vergangenen Nacht Wien erreicht haben. Bevor die Arbeit in drei Kommissionen - einer politischen, einer juristischen und einer ökonomischen Arbeitsgruppe - aufgenommen wird, erklärt Staatskanzler Renner: "In den Kommissionen soll niemand mit seinen Auffassungen hinter dem Berge halten, aber jedermann soll bedenken, dass die Einheit unseres Staates immer wieder gewonnen werden muss und dies umso mehr, da wir in der schwierigsten Epoche unserer vaterländischen Geschichte leben. In dieser Epoche müssen wir beweisen, dass über allen Sondermeinungen die Einheit des Ganzen steht." Erstmals sind wieder österreichische Postkarten erhältlich.

Mittwoch, 26. September 1945

Am Nachmittag nimmt das Plenum der österreichischen Länderkonferenz die Resolutionen einstimmig an, die gestern und heute vormittag von den getrennt tagenden Kommissionen erarbeitet wurden. Beschlossen wird unter anderem die Erweiterung der Regierung durch Mitglieder aus westlichen Bundesländern, wobei Vertreter der ÖVP (u.a. Dr. Karl Gruber aus Tirol und Ing. Vinzenz Schumy aus Kärnten) dominieren, und die Festsetzung von Nationalrats-und Landtagswahlen für 25. November. Mit der Vorbereitung des Urnenganges wird eine Kommission im Staatsamt für Inneres betraut, der zwei ÖVP-, zwei SPÖ- und ein KPÖ-Vertreter angehören. In einer Entschließung wird die Bedeutung des bundesstaatlichen Aufbau des Landes unterstrichen. Wien wird als Bundeshauptstadt bestätigt. Die Länderkonferenz richtet einen Appell an die alliierten Mächte, die provisorische Regierung anzuerkennen. Als Termin für eine weitere Länderkonferenz wird der 9. Oktober in Aussicht genommen. Auf dem Franz-Josef-Bahnhof werden unter den Lagerarbeitern rund 20 Personen festgenommen, die beim Diebstahl von Lebensmitteln aus Beständen der amerikanischen Besatzungsmacht ertappt wurden. In New York stirbt der Wiener Dichter Richard Beer-Hofmann, der 1938 emigrieren musste.

Donnerstag, 27. September 1945

Der Organisationsausschuss für die Reinigungsarbeiten in Wien beschließt unter Vorsitz von Bürgermeister Körner, die Gemeinschaftsarbeit auch im Oktober fortzusetzen. Unter Mitwirkung der Bezirksvorsteher wird vorher Bilanz gezogen. Demnach haben sechs Bezirke den Müll bereits zur Gänze entfernt. Der 5. Bezirk hat auch bereits den gesamten Schutt abtransportiert. Der Müll wurde in fünf weiteren Bezirken zu 90 Prozent, in drei Bezirken zu 80 Prozent und in vier Bezirken zu 70 Prozent entfernt. Der Abtransport der Schuttberge ist in drei Bezirken zur Hälfte, in fünf Bezirken zu zwei Drittel, in zwei Bezirken zu 80 Prozent und in zwei Bezirken zu 90 Prozent erfolgt. Die Stadt Wien betreut offiziell 24.000 Flüchtlinge, überwiegend Sudetendeutsche, die in Barackenlagern untergebracht sind. In ganz Österreich befinden sich etwa 500.000 Flüchtlinge, 1,5 Millionen Kriegsgefangene und 800.000 alliierte Soldaten.

Freitag, 28. September 1945

Der Kabinettsrat beschließt, die Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen gemeinsam durchzuführen. Danach sollen National- und Bundesrat gemeinsam entscheiden, ob der Bundespräsident vom Bundesrat gewählt oder in einer Volkswahl ermittelt wird. Die Generaldirektion der Postverwaltung kündigt an, dass demnächst der Telegrammverkehr mit der ganzen Welt aufgenommen wird. In Wien stehen 30 Münzfernsprecher wieder in Betrieb, 300 weitere sollen bis Jahresende folgen. Justizstaatssekretär Gerö kündigt an, dass die formalrechtlichen Schritte zur Wiedererrichtung des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB) eingeleitet worden sind.

Samstag, 29. September 1945

Das "Neue Österreich" meldet: "Hunderttausende kehren heim". Das trifft beispielsweise täglich auf 1.500 verschleppte Ungarn zu, die aus Salzburg und Oberösterreich in ihre Heimat zurückfahren. In Richtung Sowjetzone sind täglich rund 1.000 Österreicher unterwegs. Die Rückkehr erwartet auch eine große Zahl von Italienern; es handelt sich um 44.000 aus der amerikanischen Zone, um 25.000 aus der sowjetischen Zone und um 30.000 aus der Tschechoslowakei und Südpolen. Ebenfalls auf ihre Heimkehr warten unter anderen 14.000 Rumänen und 80.000 Österreicher, die momentan in Bayern festsitzen. Mit der Brücke Krems-Stein nach Mautern wird die einzige intakte Donauquerung Niederösterreichs eröffnet. Sie wurde unter Mithilfe von Pionieren der Roten Armee in der Rekordzeit von 70 Tagen errichtet. Zur Bekämpfung des Schleichhandels setzt die Polizeidirektion Wien "im Einvernehmen mit der alliierten Militärpolizei die Überwachung der Einfallstraßen nach Wien und der Bahnhöfe in Wien in verstärktem Maße fort und wird die Schwarzen Märkte durch eigene Beamtengruppen fortlaufend durchstreifen, um die Gefahr einer Schädigung der österreichischen Wirtschaft wirksam zu bannen." Die Gasversorgung wird auf den gesamten 3. Bezirk und den Stadtteil Schüttel im 2. Bezirk ausgedehnt. Das "Neue Österreich" erscheint erstmals mit einem Wetterbericht; zunächst wird er auf Seite 1, später auf Seite 3 plaziert.

Sonntag, 30. September 1945

Es gibt zwei wesentliche Schritte zur Wiederherstellung der Einheit Österreichs. Erstens wird der durchgehende Zugsverkehr von Wien nach Linz, Graz und Villach wieder aufgenommen. Für das Überschreiten der Zonengrenzen sind allerdings Genehmigungen der Besatzungsmächte erforderlich, die nur erteilt werden, wenn ein übergeordnetes Interesse an der Fahrt nachgewiesen werden kann. Zweitens kann der gesamtösterreichische Postverkehr wieder aufgenommen werden. Allerdings unterliegt die gesamte Post der Zensur der Besatzungsmächte. Poststücke, die in eine andere Besatzungszone gehen, unterliegen der Zensur aller beteiligten Besatzungsmächte, also ein Brief von Innsbruck nach Wien der französischen, amerikanischen (oder britischen) und sowjetischen Zensur. Das bedeutet, dass so ein Brief mindestens eine Woche, oft aber auch zwei oder sogar drei Wochen unterwegs ist.